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Zweistellige Lohnforderungen: Angst vor einer Lohn-Preis-Spirale


26.01.23 16:19
Hamburg Commercial Bank

Hamburg (www.anleihencheck.de) - An der hohen Inflation trägt die EZB keine Schuld,Verantwortung für ihre Eindämmung hat sie dennoch, so Dr. Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank.

Hier würden unterschiedliche Interessen aufeinandertreffen, die sich im Kampf um höhere Löhne manifestieren würden.

Es sei eine der Grundfragen der Volkswirtschaftslehre: Was seien die Ursachen einer zu hohen Inflation? Besonders populär sei die Antwort, dass es immer dann zu einer überdurchschnittlichen Inflation komme, wenn die Notenbank zu viel Geld drucke. Diese Begründung wirke in diesen Tagen besonders überzeugend, weil die Notenbanken in den vergangenen 15 Jahren tatsächlich ihre Zentralbankgeldmengen erheblich ausgeweitet hätten. Dass die Sache durchaus nicht so einfach sei, mache ein Blick auf die vergangenen Jahre deutlich.

Zunächst sei mit einem Missverständnis aufzuräumen: Wenn eine Notenbank Geld drucke, dann steige zwar die Zentralbankgeldmenge, nicht aber unbedingt die Geldmenge, die von den Banken geschöpft werde, wozu insbesondere Sicht- und Termineinlagen zählen würden. Letztere sei die für die Inflation relevante Geldmenge (denn die Sichteinlagen würden irgendwann abgehoben, um damit Güter und Dienstleistungen zu kaufen, was zu höheren Preisen führen könne).

In der Coronakrise sei aber in der Eurozone (aber auch in anderen Regionen) etwas anderes passiert. Hier hätten die Staaten massiv Schulden aufgenommen und gleichzeitig habe die EZB ebenfalls in einem sehr ungewöhnlichen Ausmaß Anleihen gekauft, um die Zinsen niedrig zu halten. In dieser Zeit sei nicht nur die Zentralbankgeldmenge gestiegen, sondern auch die private von den Banken geschaffene Geldmenge. So seien beispielsweise Bargeld und täglich fällige Sichteinlagen (die Geldmenge M1) Anfang 2021 mit einer Rate von über 12% gestiegen. Letzteres habe aber fast ausschließlich mit der Schuldenaufnahme zu tun, denn dieses Geld sei dann direkt und indirekt in den Bankensektor geflossen (direkt, weil einige staatliche Behörden das Geld im Bankensektor vorübergehend angelegt, oder indirekt, weil die Empfänger staatlicher Mittel das Geld zur Bank gebracht hätten). Man könnte auch sagen: Es sei Zufall gewesen, dass die Zentralbankgeldmenge und die Geldmenge M1 gleichzeitig gestiegen seien.

Tatsächlich sei es kein Zufall gewesen, nur die Kausalität sei eine andere als viele Beobachter behaupten würden. Die EZB habe während der Corona-Zeit auf zwei Dinge reagiert: Die gestiegene Unsicherheit, die viele Institutionen veranlasst habe, mehr Liquidität zu halten, und das Bestreben, die langfristigen Renditen niedrig zu halten. Mit dem Kauf der Staatsanleihen habe man diese beiden Ziele erreicht, denn dadurch habe die EZB die von den Banken nachgefragte Liquidität in die Märkte gepumpt, und gleichzeitig habe die verstärkte Nachfrage nach Anleihen die Renditen dieser Papiere niedrig gehalten. Auf diese Weise sei auch sichergestellt gewesen, dass die Staaten in dieser Notsituation nicht Gefahr gelaufen seien, sich zu höheren Zinsen verschulden zu müssen und eventuell in Zahlungsnöte zu kommen. Man möge das beklagen, aber Tatsache sei, dass die Länder der Eurozone auf diese Weise in der Lage gewesen seien, rasch und umfassend den Menschen und Unternehmen zu helfen. Wäre dagegen der finanzielle Handlungsspielraum eingeengt gewesen, wäre es möglicherweise zu einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems und der Wirtschaft gekommen.

Im Nachhinein sei festzustellen, dass hier die Grundlagen für die hohen Inflationsraten geschaffen worden seien. Denn die großzügigen schuldenfinanzierten Hilfen, die private Haushalte und Unternehmen erhalten hätten, hätten zwar nicht für Reisen und für das Fitnesszentrum, sehr wohl aber für Gartenmöbel, Fitnessgeräte und Fahrräder ausgegeben werden können. Kurz: Weniger Dienstleistungs-, dafür mehr Güternachfrage. Erhöhte Rohstoffnachfrage, Lieferkettenengpässe und explodierende Güterpreise seien die Folge gewesen, verstärkt noch durch den Überfall Russlands auf die Ukraine. Mit anderen Worten: Inflation. Hätte das vermieden werden können? Nicht durch die EZB, die weder Lockdowns verfügt habe, noch die Lieferketten und die Geopolitik beeinflussen könne.

Insofern sei es offensichtlich nicht angebracht, der EZB die Schuld für die Inflation in die Schuhe zu schieben. Zu diesem Schluss komme im Wesentlichen auch die Bundesbank, die in ihrem jüngsten Monatsbericht empirisch den Ursachen der Inflation auf den Grund gehe.

Dass die EZB dennoch nunmehr die Verantwortung dafür habe, die Inflation wieder einzufangen, stehe auf einem anderen Blatt. Denn sie habe jetzt, wo sich die Situation trotz der geopolitisch tragischen und brisanten Situation einigermaßen normalisiert habe, die Aufgabe, die Inflationserwartungen nicht aus dem Ruder laufen zu lassen. Dass diese Gefahr groß sei, würden die aktuellen Lohnverhandlungen zeigen. Die Gewerkschaft ver.di fordere für die Angestellten der Deutschen Post 15% mehr Lohn und für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen werde im Durchschnitt 14% mehr Geld verlangt. In diesem Jahr würden in Deutschland insgesamt die Löhne von etwa 10 Millionen Beschäftigten verhandelt - darunter sei der Einzelhandel, der Groß- und Außenhandel und der öffentliche Dienst der Länder vertreten. Man könne die Ansicht vertreten, dass die Lohnquote in unserer Volkswirtschaft steigen sollte - sie liege derzeit bei 71,2% und habe im Durchschnitt der letzten 20 Jahre bei 69,7% gelegen -, wofür überdurchschnittliche Lohnforderungen eine Voraussetzung seien. Zweistellige Lohnzuwächse würden aber in jedem Fall die Gefahr bergen, dass sich eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setze, da Unternehmen versuchen würden, die mit den höheren Löhnen verbundenen Kosten an die Konsumenten weiterzugeben und somit die Inflation weiter anzuheizen. Genau diese Lohn-Preis-Spirale versuche die EZB mit ihren sehr deutlich kommunizierten Zinsanhebungen - für Februar und März seien zwei Zinsschritte von jeweils 0,5 Prozentpunkten vorgesehen, danach könnten noch weitere Schritte folgen - zu verhindern. Je weniger dies wahrgenommen werde, desto aggressiver werde die EZB gegensteuern müssen mit dem Risiko, dass die Konjunktur doch noch einbreche. Letztlich gehe es hier um Glaubwürdigkeit, sowohl auf der Seite der EZB als auch auf der Seite der Gewerkschaften. Wie dieser Konflikt ausgehe, lasse sich nicht sagen. Die herrschende Arbeitskräfteknappheit spreche allerdings dafür, dass die Inflation aus demografischen Gründen nicht so bald auf das Inflationsziel von 2% zurückkehren werde. (26.01.2023/alc/a/a)