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USA: Hat die Geldpolitik ihre Wirkung verloren?
09.06.23 14:00
Helaba
Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Anfang 2022, als die Teuerung bereits auf 8% zusteuerte, rechnete der Konsens der von Bloomberg befragten Ökonomen für Mitte 2023 noch mit einem Leitzinskorridor von 1,50% bis 1,75%, so die Analysten der Helaba im Kommentar zur US-Geldpolitik.
Kein einziger Prognostiker habe mehr als 2,25% bis 2,50% angegeben. Die Investoren hätten laut FED Funds Futures - die auf so lange Sicht zugegebenermaßen nur eingeschränkt aussagekräftig seien - etwa 2% erwartet. Stattdessen liege der Korridor aktuell bei 5,00% bis 5,25%, also doch ein gutes Stück höher.
Nun würde man erwarten, dass eine überraschende geldpolitische Straffung dieser Größenordnung in so kurzer Zeit erhebliche negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft hätte. Aber die Arbeitslosenquote sei weiter nahe ihrem 50-Jahres-Tief von rund 3,5%. Das Wachstum habe sich verlangsamt - aber hier hätten auch der Entzug des fiskalischen Stimulus und das Auslaufen der Erholung von der Pandemie eine wichtige Rolle gespielt. Trotzdem habe die US-Wirtschaft in den letzten drei Quartalen noch mit (annualisierten) Vorquartalsraten von 3,2%, 2,6% und 1,3% zugelegt. Es gehe also in die zur Inflationsbekämpfung wünschenswerten Richtung - aber erstaunlich graduell.
Dies liege nicht daran, dass der geldpolitische Transmissionsmechanismus grundsätzlich nicht mehr funktionieren würde: Außenwert des Dollar, Aktienkurse und längere Zinsen hätten insgesamt durchaus in der üblichen Art auf eine restriktivere Geldpolitik reagiert. Ein diese Faktoren bündelnder Monetary Conditions Index (MCI) zeige eine stärkere Straffung als in irgendeinem anderen Zyklus seit den 1980er Jahren. Die Kreditvergabekriterien der Banken würden einem ähnlichen Muster wie in vergangenen Zinszyklen folgen: Sie würden erheblich verschärft.
Warum wirke der restriktive geldpolitische Impuls trotzdem nicht im erwarteten Umfang? Wieso könnte die FED in der Berichtswoche ernsthaft in Erwägung ziehen, noch mal "was nachzulegen"? Sicher spiele hier die vorherige Phase mit extrem niedrigen Zinsen eine Rolle. Sie habe es vor allem den Unternehmen ermöglicht, sich günstige Finanzierungsbedingungen für eine lange Zeit zu sichern. Die umfassendere Antwort sei aber wohl: Hauptsächlich sei die aktuelle, um einen Modebegriff zu entwenden, "Resilienz" der Konjunktur eine Folge von verschiedenen Nachwirkungen der Pandemie. Diese seien allerdings nun im Abklingen. Die Geldpolitik habe also ihre Wirkung nicht verloren, es dauere diesmal aber offensichtlich länger, bis sie sichtbar werde.
Als Puffer diene hierbei z.B. die Überschussersparnis, die die Haushalte in der Pandemie angehäuft hätten und nun, um höheren Preisen und Zinsen zu trotzen, abbauen würden. Bis zum April 2023 sei diese Reserve zu rund drei Vierteln aufgezehrt gewesen. Das spreche für einen schwächeren Konsum in den kommenden Monaten. Das in der Pandemie entstandene Ungleichgewicht zwischen der Nachfrage nach Waren und nach Dienstleistungen habe sich noch nicht wieder normalisiert. So seien die inflationsbereinigten Ausgaben der Konsumenten für Waren derzeit fast 17% höher als Ende 2019, die für Dienstleistungen nur 5%. Der Anteil der Dienstleistungen am Konsum insgesamt bewege sich dabei auf seinen Trendwert zu, sei allerdings noch ein ganzes Stück von ihm entfernt. Offenbar würden die Haushalte versuchen, das neue Gleichgewicht zu erreichen, ohne ihr monatliches Budget für das "Shoppen" Online und im Einzelhandel zu reduzieren.
Ähnlich wirke ein Nachholbedarf der Wirtschaft an Arbeitskräften nach. In der Erholung von der Pandemie habe sich schnell herausgestellt, dass die Unternehmen massiv um die sich plötzlich rarmachenden Arbeitskräfte konkurriert hätten. In der Folge, vor allem seit 2022, sei die Nachfrage nach Mitarbeitern dann deutlich höher gewesen, als angesichts des Wachstums eigentlich zu erwarten sei ("labour hoarding").
Letztlich seien es erstens die "langen und variablen" Verzögerungen der Geldpolitik, die schon Milton Friedman erkannt habe und die diesmal wieder zu Verunsicherung führen würden. Zweitens sei die Beziehung zwischen Konjunktur und Geldpolitik bekanntermaßen nichtlinear. Anders formuliert: Es könne sein, dass sich das Wachstum erst lange Zeit sehr graduell verlangsame, dann ab einem bestimmten Zinsniveau aber plötzlich überproportional nachgebe. Nur leider wisse keiner genau, wo dieser Punkt liege oder wie lange es dauere, bevor die Wirkung in den Daten sichtbar werde. Auch dies spreche für ein vorsichtiges Vorgehen der FED auf der anstehenden Sitzung - trotz der mit über 5% weiterhin viel zu hohen Kernteuerung. (09.06.2023/alc/a/a)
Kein einziger Prognostiker habe mehr als 2,25% bis 2,50% angegeben. Die Investoren hätten laut FED Funds Futures - die auf so lange Sicht zugegebenermaßen nur eingeschränkt aussagekräftig seien - etwa 2% erwartet. Stattdessen liege der Korridor aktuell bei 5,00% bis 5,25%, also doch ein gutes Stück höher.
Nun würde man erwarten, dass eine überraschende geldpolitische Straffung dieser Größenordnung in so kurzer Zeit erhebliche negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft hätte. Aber die Arbeitslosenquote sei weiter nahe ihrem 50-Jahres-Tief von rund 3,5%. Das Wachstum habe sich verlangsamt - aber hier hätten auch der Entzug des fiskalischen Stimulus und das Auslaufen der Erholung von der Pandemie eine wichtige Rolle gespielt. Trotzdem habe die US-Wirtschaft in den letzten drei Quartalen noch mit (annualisierten) Vorquartalsraten von 3,2%, 2,6% und 1,3% zugelegt. Es gehe also in die zur Inflationsbekämpfung wünschenswerten Richtung - aber erstaunlich graduell.
Warum wirke der restriktive geldpolitische Impuls trotzdem nicht im erwarteten Umfang? Wieso könnte die FED in der Berichtswoche ernsthaft in Erwägung ziehen, noch mal "was nachzulegen"? Sicher spiele hier die vorherige Phase mit extrem niedrigen Zinsen eine Rolle. Sie habe es vor allem den Unternehmen ermöglicht, sich günstige Finanzierungsbedingungen für eine lange Zeit zu sichern. Die umfassendere Antwort sei aber wohl: Hauptsächlich sei die aktuelle, um einen Modebegriff zu entwenden, "Resilienz" der Konjunktur eine Folge von verschiedenen Nachwirkungen der Pandemie. Diese seien allerdings nun im Abklingen. Die Geldpolitik habe also ihre Wirkung nicht verloren, es dauere diesmal aber offensichtlich länger, bis sie sichtbar werde.
Als Puffer diene hierbei z.B. die Überschussersparnis, die die Haushalte in der Pandemie angehäuft hätten und nun, um höheren Preisen und Zinsen zu trotzen, abbauen würden. Bis zum April 2023 sei diese Reserve zu rund drei Vierteln aufgezehrt gewesen. Das spreche für einen schwächeren Konsum in den kommenden Monaten. Das in der Pandemie entstandene Ungleichgewicht zwischen der Nachfrage nach Waren und nach Dienstleistungen habe sich noch nicht wieder normalisiert. So seien die inflationsbereinigten Ausgaben der Konsumenten für Waren derzeit fast 17% höher als Ende 2019, die für Dienstleistungen nur 5%. Der Anteil der Dienstleistungen am Konsum insgesamt bewege sich dabei auf seinen Trendwert zu, sei allerdings noch ein ganzes Stück von ihm entfernt. Offenbar würden die Haushalte versuchen, das neue Gleichgewicht zu erreichen, ohne ihr monatliches Budget für das "Shoppen" Online und im Einzelhandel zu reduzieren.
Ähnlich wirke ein Nachholbedarf der Wirtschaft an Arbeitskräften nach. In der Erholung von der Pandemie habe sich schnell herausgestellt, dass die Unternehmen massiv um die sich plötzlich rarmachenden Arbeitskräfte konkurriert hätten. In der Folge, vor allem seit 2022, sei die Nachfrage nach Mitarbeitern dann deutlich höher gewesen, als angesichts des Wachstums eigentlich zu erwarten sei ("labour hoarding").
Letztlich seien es erstens die "langen und variablen" Verzögerungen der Geldpolitik, die schon Milton Friedman erkannt habe und die diesmal wieder zu Verunsicherung führen würden. Zweitens sei die Beziehung zwischen Konjunktur und Geldpolitik bekanntermaßen nichtlinear. Anders formuliert: Es könne sein, dass sich das Wachstum erst lange Zeit sehr graduell verlangsame, dann ab einem bestimmten Zinsniveau aber plötzlich überproportional nachgebe. Nur leider wisse keiner genau, wo dieser Punkt liege oder wie lange es dauere, bevor die Wirkung in den Daten sichtbar werde. Auch dies spreche für ein vorsichtiges Vorgehen der FED auf der anstehenden Sitzung - trotz der mit über 5% weiterhin viel zu hohen Kernteuerung. (09.06.2023/alc/a/a)