Erweiterte Funktionen

EU-Bonds: Welche Chancen sie Anlegern bieten


22.09.20 10:30
DWS

Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Für ihren Wiederaufbaufonds nimmt die Europäische Union (EU) als Institution erstmals in großem Stil Schulden auf, für sicherheitsorientierte Anleger eröffnet das Chancen, so die Experten von DWS.

Es herrsche Anlagenotstand am Anleihemarkt. Wie sehr, lasse sich etwa an den Renditen börsennotierter deutscher Staatsanleihen ablesen. Mit Ausnahme der Papiere, die erst nach 2046 fällig würden, hätten alle Ende August eine negative Verzinsung aufgewiesen. Wer sich also zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende Anleihe ins Depot gelegt habe, müsse eine Gebühr für die hohe Sicherheit zahlen, die Bundesanleihen bieten würden. Schließlich zähle Deutschland zu den wenigen Ländern weltweit, die über eine exzellente Kreditwürdigkeit verfügen würden und von allen drei maßgeblichen Ratingagenturen, Fitch Ratings, Moody's und Standard & Poor's, eine Top-Bewertung erhalten hätten. Daher seien deutsche Staatsanleihen aktuell der Qualitätsmaßstab in Europa.

Doch in den exklusiven Club der als sehr zuverlässig eingestuften Schuldner dränge nun ein neues Mitglied: Die EU. Um die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie abzufedern und den Mitgliedsländern auf die Beine zu helfen, hätten die 27 EU-Staaten im Juli ein umfassendes Hilfspaket geschnürt. Ziel sei es, die Wirtschaft nach dem historischen Einbruch zu unterstützen und gleichzeitig den ökologischen und digitalen Wandel voranzutreiben.

Dieses zeitlich befristete Aufbauinstrument trage den Namen "Next Generation EU" und verfüge über einen Finanzrahmen von 750 Milliarden Euro. Diese Summe könnten die Mitgliedsstaaten unter bestimmten Bedingungen zwischen 2021 und 2027 abrufen - knapp die Hälfte als Darlehen, den etwas größeren Teil als Zuschüsse, die nicht zurückgezahlt werden müssten. Das Besondere dabei: Die Mittel würden nicht aus dem regulären EU-Haushalt stammen, den die einzelnen Mitgliedsstaaten mit ihren Beiträgen finanzieren würden. Vielmehr werde ein Schattenhaushalt eingerichtet, für den die EU-Kommission im Namen der EU eigenständig Schulden aufnehmen dürfe. Für Zinsen und Tilgung müssten die EU-Mitgliedsländer in ihrem Staatshaushalt einen gewissen Betrag reservieren, der sich an der Wirtschaftskraft des Landes orientiere. Zudem könnten neue EU-weite Einnahmen wie etwa eine Plastiksteuer, Geld aus dem Emissionshandel oder eine Digitalsteuer herangezogen werden.

Größter Posten des Pandemiefonds sei die so genannte Aufbau- und Resilienzfazilität mit 672,5 Milliarden Euro. Die Zuweisung daraus solle sich am Lebensstandard, der Größe und der Arbeitslosenquote der Mitgliedstaaten orientieren. Von der Kreditkomponente dürften vor allem süd- und osteuropäische Länder profitieren. Sie könnten Mittel indirekt zu den günstigen Bedingungen aufnehmen, die die EU aufgrund ihrer hohen Bonität am Markt erziele.

Der Wiederaufbaufonds habe weitreichende Folgen, schwinge sich die EU doch zu einem bedeutenden Emittenten von Euro-Anleihen mit Top-Rating auf. Würden die Länder die Mittel vollständig ausschöpfen, werde das gesamte Anleihevolumen der EU auf etwa 900 Milliarden Euro anschwellen. Darin enthalten seien auch Anleihen, die zur Bewältigung der Eurokrise 2010 und 2011 begeben worden seien, sowie die ebenfalls 2020 beschlossenen 100 Milliarden Arbeitsmarkthilfen aus dem Programm "SURE" (Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency). In größerem Umfang am Markt vertreten seien in Europa dann nur Frankreich, Italien, Deutschland und Spanien.

Der neue Großschuldner am Markt eröffne auch Anlegern Chancen. Um ein so großes Anleihevolumen in der Kürze der Zeit reibungslos platzieren zu können, würden die Experten der DWS damit rechnen, dass die EU-Anleihen mit attraktiveren Konditionen als Bundesanleihen ausgestattet würden. Im Bereich der zehnjährigen Bonds könnte der Zinsaufschlag etwa 0,1 bis 0,2 Prozentpunkte ausmachen. Da die EU ihre Kreditaufnahme auf Laufzeiten zwischen drei und 30 Jahren strecken werde, sollten aber auch kurzfristig und sehr langfristig orientierte Anleger in den Genuss besserer Konditionen kommen.

Auch dürfte der Markt für grüne Anleihen durch den Pandemiefonds Rückenwind erhalten. Immerhin 30 Prozent der Gesamtausgaben seien für klimabezogene Projekte vorgesehen. Zudem müssten die Länder sicherstellen, dass die Ausgaben des Wiederaufbaufonds mit dem EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050, den Klimazielen der EU für 2030 und den Vereinbarungen des Klimagipfels von Paris im Einklang stünden. Indem die EU vermehrt auf grüne Anleihen setze, könnte sie sich zu einer Art Referenzschuldner entwickeln und so dem Marktsegment der nachhaltigen Anleihen neue Impulse verleihen.

Klar sei: Auch wenn die endgültige rechtliche Ausgestaltung des Wiederaufbaufonds noch anstehe - teilweise hätten das EU-Parlament und die nationalen Volksvertretungen ein Mitspracherecht - dürften sich die Gewichte am europäischen Anleihemarkt in den kommenden Jahren verschieben. Und obwohl der Fonds zeitlich begrenzt sei, sollte die Hürde gesunken sein, dass die EU bei künftigen Krisen eigenständig Anleiheprogramme auflege. Ob damit der Weg in Richtung einer Transfer- und Schuldenunion eingeschlagen sei, bleibe offen. Doch das Votum des Marktes sei deutlich: Der Euro jedenfalls, ein Indikator für das Vertrauen der Anleger in die Eurozone, habe seit den EU-Beschlüssen zum Wiederaufbaufonds deutlich an Wert gewonnen. (Ausgabe vom 17.09.2020) (22.09.2020/alc/a/a)