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Wenn die Ebbe kommt...


25.11.22 12:22
Weberbank

Berlin (www.anleihencheck.de) - So mancher Investor reibt sich verwundert die Augen, so Jens Herdack, CEFA, CIIA der Weberbank.

Die meisten Aktienindices schienen in den letzten Wochen nur noch eine Richtung zu kennen: nach oben. Dabei suggeriere ein Blick in die Tagespresse doch weiterhin Krisen in vielen Bereichen. So sei die Inflation weiter hoch, während das Konsumentenvertrauen gerade in Europa besonders schwach ausfalle. Auch beim Ukraine-Konflikt sei weiter keine Lösung in Sicht. Warum würden die Aktienmärkte dann also steigen? Generell sei den meisten Marktabschwüngen eine gewisse Investoren-Resignation gemein. Während am Anfang einer Abwärtsbewegung viele Investoren noch positiv gestimmt bleiben würden, weil sie von einer nur kurzen Marktkorrektur ausgehen würden, würden sich mit zunehmenden Verlusten immer weniger Optimisten finden. Dieser extreme Pessimismus bereite dann den Boden für den folgenden Aufschwung. Denn wenn viele Investoren genervt verkauft hätten, würden sie anschließend häufig von einem beginnenden Wiederanstieg der Märkte überrascht, den sie zunächst aber als nur kurzfristig abtun würden. Steige der Markt dann weiter, setze ein psychologischer Druck ein, der sie zurück in die Aktien treibe. Häufig würden dafür erste Anzeichen ausreichen, dass sich die gesamtwirtschaftliche Situation zum Besseren wenden könnte.

Minus 4,2% - Negative Zahl mit positiver Wirkung

Ein solches vorsichtiges Zeichen könnte der in dieser Woche veröffentlichte monatliche Rückgang der deutschen Produzentenpreise um 4,2 Prozent sein. Die Produzentenpreise, also die Kosten, die Unternehmen für den Einkauf ihrer Produktionsmaterialien zahlen müssten, würden als Vorläufer für die Konsumentenpreise gelten, die die Unternehmen anschließend von ihren Kunden verlangen würden. Warum sei das so wichtig für die Finanzmärkte? Die Notenbanken würden genau jenen Konsumentenpreisanstieg - also die Inflation - zu bremsen versuchen und seien dafür bereit, einen konjunkturellen Abschwung zu riskieren. Mehr noch, der wirtschaftliche Abschwung sei dabei sogar ein entscheidender Mechanismus in der Wirkungskette, durch den die Inflation gesenkt werden solle. Wenn sich jetzt zeigen sollte, dass der Inflationsanstieg sein Top gesehen habe, dann müssten die Notenbanken nicht mehr so aggressiv agieren. Mithin könnten die Investoren dann antizipieren, dass sich die Märkte wieder erholen. Es sei aber noch nicht gesagt, dass der Abschwung der Aktienmärkte mit der aktuellen Bewegung beendet sei. Denn häufig seien Investoren auch etwas zu ungeduldig und wollten möglichst die Ersten sein, die eine wirtschaftliche Erholung erblicken würden. In vielen Fällen komme es dann aber in der Folge doch noch einmal zu Kursrückgängen. Auch die Weberbank sehen die Zeit der heftigen Marktschwankungen noch nicht als beendet an.

Wenn die Ebbe komme...

Denn noch wirke die restriktive Notenbankpolitik. Mit Blick auf den aktuellen Skandal um die Kryptowährungsbörse FTX falle Herdack dazu sofort ein legendärer Satz von Starinvestor Warren Buffett ein. "Erst wenn die Ebbe kommt, entdeckt man, wer ohne Badehose schwimmen gegangen ist." So passiere es derzeit bei vielen einst hochgelobten neuen Firmen, die in den letzten Jahren ohne sichtbare Krisen auf der Welle der von den Notenbanken bereitgestellten massiven Liquidität mitgeschwommen seien. Gerade im Segment der Kryptowährungen sei bis vor Kurzem häufig gar nicht mehr die Sinnhaftigkeit von bestimmten Entwicklungen hinterfragt worden. Reine Fantasiewährungen ohne ökonomischen Nutzen seien im Fahrwasser erstzunehmender Kryptowährungen mitgezogen worden. Nun zeige sich immer häufiger, dass die Akteure in diesem Geschäft nicht immer ganz lauter unterwegs gewesen seien. Aktuell lege FTX, einst zweitgrößte Kryptohandelsbörse der Welt, eine der größten Pleiten der Finanzgeschichte hin, die sogar den Skandal um ENRON aus dem Jahr 2001 bei weitem übertreffen dürfte und weitere Akteure im Kryptowährungsbereich mit sich reiße. Es bleibe spannend zu sehen, wer es in diesem und auch in anderen Marktsegmenten am Ende noch mit Badehose wieder zurück an den Strand schaffen werde. (25.11.2022/alc/a/a)