Erweiterte Funktionen
US-Markt: Inflationssorgen & Zinsrisiken
06.03.23 12:00
Der Aktionär
Kulmbach (www.anleihencheck.de) - Nach einem trostlosen Februar meldet sich der US-Markt zum Monatsauftakt mit einem beeindruckenden Reversal zurück, so Max Gross vom Online-Anlegermagazin "Der Aktionär".
Sei das bereits der Startschuss für die nächste Rally oder nur ein Luftholen vor dem nächsten Abverkauf?
Auf die Partystimmung zum Start ins neue Jahr sei im Februar der Kater gefolgt. Nach einem Plus von 6,2 Prozent im Januar habe der Gesamtmarktindex S&P 500 im Februar um 2,6 Prozent nachgegeben. Pünktlich zum saisonal starken Börsenmonat März, der Anlegerinnen und Anleger durchschnittlich eine Rendite von einem Prozent (Stichprobe seit 1980) beschere, habe sich der S&P 500 am Donnerstag und Freitag eindrucksvoll zurückgemeldet und dabei eine Gewinnstrecke von knapp 120 Punkten bzw. drei Prozent absolviert.
Zum scharfen Reversal beigetragen habe ein Ende des im Februar noch scharfen Renditeanstieges sowie moderatere Töne aus den Reihen der FED. Hätten sich nach den überraschend hohen Inflationsdaten im Februar die zeitweise gesunkenen Renditen von US-Staatsanleihen wieder erholt und vor allem Falken wie Loretta Mester, Chefin der Cleveland-FED, den Ton angegeben, sie habe für die nächste Sitzung der US-Notenbank im März eine Leitzinsanhebung um 50 Basispunkte gefordert, hätten die US-Zinsen in den vergangenen Tagen etwas zurückgesetzt, während sich weitere FED-Mitglieder zu Wort gemeldet hätten und den Markt hätten wissen lassen, dass sie auch mit 25 Basispunkten leben könnten, solange eine Zinswende nicht vor dem kommenden Jahr stattfinde.
Obwohl die US-Notenbank seit vielen Wochen und Monaten bekräftige, dass eine Zinswende noch in diesem Jahr praktisch ausgeschlossen sei, habe der Markt lange gegen die FED gewettet. Inzwischen allerdings zeige die Markterwartung, festgehalten in den sog. FED-Futures, dass eine Zinswende für dieses Jahr ausgepreist ist und die in zweieinhalb Wochen bevorstehende Leitzinserhöhung nicht die letzte gewesen sein dürfte. Dieser Anpassungsprozess dürfte einen erheblichen Anteil an den Aktienmarktverlusten im Februar gehabt haben.
Nachdem eine Zinswende in 2023 ausgepreist worden sei, dürfte vom Zinsmarkt weiterer Gegenwind nur dann zu erwarten sein, wenn höhere als die bislang eingepreisten Zinsschritte eingepreist werden müssten. Dafür würden allerdings selbst die zuletzt höher als erwarteten Inflationsdaten nicht sprechen: Der von der FED bevorzugte Inflationsindikator PCE habe im Januar im Vergleich zum Vorjahr bei 5,4 Prozent (Kernrate: 4,7 Prozent) gelegen - das sei in den aktuellen Erwartungen bereits enthalten. Solange die kommenden Inflationsdaten nicht erneut höher ausfallen würden, sollte der zuletzt steile Renditenanstieg damit ein Ende haben.
Entwarnung für den US-Aktienmarkt bedeute das allerdings nur bedingt. Selbst wenn die Zinsen und Zinserwartungen nun nicht mehr weiter steigen würden, würden sie für längere Zeit hoch bleiben. Der Anleihemarkt trete damit in Konkurrenz zum Aktienmarkt, denn dessen Gewinnrendite (das umgekehrte Kurs-Gewinn-Verhältnis) liege aktuell bei 4,6 Prozent. Zum Vergleich würden Käuferinnen und Käufer einjähriger US-Staatsanleihen aktuell fünf Prozent erhalten - und das ganz ohne Risiko!
Damit der Aktien- gegenüber dem Anleihemarkt wieder attraktiver werde, müssten entweder die Zinsen wieder sinken (was aktuell nicht wahrscheinlich sei) oder die Gewinne der im S&P 500 notierten Unternehmen wieder steigen. Das allerdings sei zumindest in der abgelaufenen Quartalssaison nicht der Fall gewesen. Laut des Datendienstleisters Factset seien die Unternehmensgewinne im abgelaufenen Quartal um 4,9 Prozent und damit das erste Mal seit 2020 gefallen. Besserung sei erst einmal nicht zu erwarten, denn sowohl Analysten als auch die Unternehmen selbst würden auch für die kommenden drei Monate mit schwächeren Geschäften erwarten.
Die Erwartung schwächerer Geschäfte stelle den Aktienmarkt angesichts der hohen Zinsen vor ein Bewertungsproblem, wie der Vergleich von Gewinn- und Anleihenrendite gezeigt habe. Würden die Gewinnerwartungen nun weiter sinken, verliere der Aktienmarkt damit an Attraktivität. Für den S&P 500 würden Analysten in 2023 Gewinne von etwa 223 Dollar pro Anteil erwarten. Zum Schlusskurs vom Freitag (4.045 Punkten) bedeute das ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwa 18, auf dem Stand der bisher gezeigten Unternehmensergebnisse allerdings betrage das KGV für den S&P 500 aktuell 21,6 - das liege über dem langjährigen Mittel und auch über dem Mittel der Nullzinsjahre.
Nichtsdestotrotz: Werfe man ein Blick auf den Market Fair Value Index der Finanzinformationsagentur Morningstar sei der US-Markt aktuell gegenüber seinem fairen Wert mit 0,91 bewertet und hätte dementsprechend ein Aufwärtspotenzial von zehn Prozent bis etwa 4.400 Punkte. Für diesen Stand wäre der US-Markt bei der Gewinnschätzung von 223 Dollar mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 19,7 bewertet, was einer Gewinnrendite von 5,1 Prozent entspräche: Das wiederum, sollten sich die Analystenerwartungen erfüllen, wäre mit Blick auf die kommenden Monate gegenüber dem Anleihenmarkt durchaus konkurrenzfähig!
Dass die Gewinnrezession im abgelaufenen Quartal nicht noch deutlich stärker verlaufen sei, sei vor allem zwei Konstanten zu verdanken: Erstens dem anhaltend robusten US-Arbeitsmarkt sowie zweitens den weiter bärenstarken Einzelhandelsdaten. Im Januar (die Daten für Februar würden am kommenden Freitag bekannt gegeben) habe die US-Wirtschaft 517.000 Stellen aufgebaut - Volkswirte hätten lediglich mit 185.000 gerechnet. Auch die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe liege bereits seit Monaten auf historisch niedrigen Niveaus. Allen die Schlagzeilen bestimmenden Meldungen über Stellenabbau bei großen US-Konzernen zum Trotz: Wer in den USA einen Job suche, finde aktuell dank elf Millionen unbesetzter Stellen einen!
Zwar habe wie auch hierzulande die Kaufkraft der US-Verbraucherinnen und -Verbraucher nachgelassen, die hohe Zahl neugeschaffener Jobs und beschäftigter Arbeitnehmer sorge aber dafür, dass genügend Kaufkraft vorhanden sei, die US-Wirtschaft durch einen anhaltend hohen Binnenkonsum zu stützen. Das hätten vor allem die im Januar hohen Einzelhandelsumsätze mit einem Plus von 6,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr bewiesen. Noch im Dezember sei man am Markt einhellig der Meinung gewesen, das Weihnachtsgeschäft verlaufe äußerst schleppend - diese Annahme habe sich als unbegründet herausgestellt, wie etwa die starken Quartalszahlen von Walmart gezeigt hätten.
Bald schon könnten den US-Konsumenten die chinesischen zur Seite springen. Nach der ebenso überfälligen wie überraschend plötzlichen Aufhebung der Corona-Maßnahmen in China würden sich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher dort eindrucksvoll zurückmelden - und hätten nach drei Pandemiejahren umgerechnet 2,6 Billionen Dollar auf der hohen Kante, die nur darauf warten würden ausgegeben zu werden: Ein potenziell gewaltiger Schub nicht nur für die chinesische, sondern die Weltwirtschaft! Komme China back online, dürfte das die durch den russischen Angriffskrieg erschütterte Weltwirtschaft einerseits stabilisieren, andererseits aber auch für neue Inflationsgefahren durch steigende Rohstoffpreise sorgen - ein zweischneidiges Schwert!
Die Hoffnung auf eine Wiederbelebung der chinesischen Konjunktur, die in der vergangenen Woche ihren Ausdruck in einem enormen Anstieg der Einkaufsmanagerindices gefunden habe, dürfte allerdings nur wenig wert sein, sollten sich geopolitische Spannungen verschärfen: Die USA hätten bereits Sanktionen angedroht, sollte China Russland im Krieg in der Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützten und hierfür bereits um die Unterstützung bei Verbündeten geworben. Das zarte Pflänzchen Entspannungspolitik, das sich im vergangenen Jahr etwa noch bei der erfolgreichen Einigung für Audit-Verfahren für an US-Börsen notierte China-Aktien gezeigt habe, drohe damit bereits wieder einzugehen. Ganz zu schweigen von der aus Sicht Chinas ungeklärten Frage um die Souveranität von Taiwan.
Chancen und Risiken würden sich am US-Markt aktuell in einem fragilen Gleichgewicht befinden. Einerseits würden die steigenden Zinsen für Bewertungsrisiken am Aktienmarkt sorgen, andererseits sei die von der US-Notenbank kommunizierte Geldpolitik inzwischen eingepreist (zumindest für stabile Teuerungsraten) und die befürchtete Gewinnrezession bereits Realität.
Da Finanzmärkte vorausschauend seien, dürften diese vor allem auf eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage spekulieren - und hätten hierfür positive Entwicklungen, etwa die Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft, auf ihrer Seite. Wie viel solche Verbesserungen am Ende aber Wert seien, hänge auch davon ab, welche geopolitischen Risiken sich in den kommenden Monaten bewahrheiten und welche sich vielleicht auch in Wohlgefallen auflösen würden.
Bleibe noch der technische Blick auf den US-Markt, hier würden sich durchaus konstruktive Tendenzen zeigen. Erstens sei dem S&P 500 der Ausbruch aus dem Bärenmarkt des vergangenen Jahres gelungen und zweitens habe der Ausbruch mit dem Test der gleitenden Durchschnittslinien sowie der Trendlinie des im Herbst gestarteten Aufwärtstrend eine erste Bewährungsprobe bestanden.
Allzu viel sei das Reversal der vergangenen zwei Tage allerdings noch nicht wert, denn dieses habe erstmal nur zur Rückkehr in die den Februar bestimmenden Bullenflagge geführt, die die Rally im Januar konsolidiert habe. Neue, prozyklische Kaufsignale würden sich im S&P 500 daher erst für einen Ausbruch aus der Flagge bzw. für einen Anstieg über 4.150/4.200 Punkte ergeben.
Für eine Verschlechterung der Lage sei ein Unterschreiten der gleitenden Durchschnitte zu beachten. In diesem Fall dürfte der S&P 500 das Verlaufstief bei 3.800 Punkten testen. Nachhaltige Verkaufssignale würden erst darunter entstehen. Setze man die Gewinnerwartungen der Analysten (223 Dollar) in Relation zu den charttechnisch relevanten Kursmarken, ergebe sich eine Spanne zwischen einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 17 für 3.800 Punkte und 18,8 für 4.200 Punkte - beides sei gegenüber dem Anleihenmarkt durchaus konkurrenzfähig.
Sollten sich allerdings die Gewinnerwartungen und die Höhe der Zinsen in den kommenden Monaten entscheidend verändern, seien faire Bewertungen auch zwischen 3.600 und 4.400 Punkten denkbar. Innerhalb diesen Bandbreiten, 3.800 bis 4.200 Punkte für geringfügige Veränderungen und 3.600 und 4.400 Punkte für größere Veränderungen der Rahmenbedingungen dürften sich die Kurse daher für den Rest des Jahres bewegen. Vielmehr als ein neuer Bullenmarkt oder die Fortsetzung des bisherigen Bärenmarktes sei daher ein Seitwärtsmarkt zu erwarten.
In Seitwärtsmärkten mit volatilen Veränderungen der Rahmenbedingungen sei das Sentiment der Anlegerinnen und Anleger, private und institutionelle gleichermaßen, entscheidend für Kursveränderungen. Hier habe die überschaubare Korrektur im Februar bereits Wirkung gezeigt. Die Bullenquote unter Privatanlegern sei zum Monatsende auf den niedrigsten Stand seit vielen Wochen gerutscht, US-Anleger seien mehrheitlich pessimistisch gestimmt.
Das Sentiment allerdings sei erstens oft ein guter Kontraindikator und zweitens eine Folge der vorigen Kursentwicklungen. Zumindest kurzfristig sei daher mit weiteren Kursgewinnen zu rechnen. Wer in den kommenden Monaten immer wieder einen Blick auch auf Sentimentindikatoren werfe, habe die Chance, die zu erwartenden Kursschwankungen frühzeitig zu antizipieren.
Chancen und Risiken stünden sich am US-Markt aktuell gleichberechtigt gegenüber. Was der weitere Verlauf diesen Jahres mit dem des letzten gemeinsam haben dürfte, sei vor allem die Ungewissheit über die Entwicklung einer Vielzahl, die kommenden Monate bestimmender Faktoren. Anstatt stabiler Trends sei daher ein volatiler Seitwärtsmarkt zu erwarten, der vor allem Traderinnen und Tradern zugutekommen dürfte, die bereit seien, sich auf beiden Seiten zu positionieren, die also Schwäche kaufen und Stärke verkaufen würden. Hierfür seien im S&P 500 vor allem 3.800 und 4.200 Punkte zu beachten. (06.03.2023/alc/a/a)
Sei das bereits der Startschuss für die nächste Rally oder nur ein Luftholen vor dem nächsten Abverkauf?
Auf die Partystimmung zum Start ins neue Jahr sei im Februar der Kater gefolgt. Nach einem Plus von 6,2 Prozent im Januar habe der Gesamtmarktindex S&P 500 im Februar um 2,6 Prozent nachgegeben. Pünktlich zum saisonal starken Börsenmonat März, der Anlegerinnen und Anleger durchschnittlich eine Rendite von einem Prozent (Stichprobe seit 1980) beschere, habe sich der S&P 500 am Donnerstag und Freitag eindrucksvoll zurückgemeldet und dabei eine Gewinnstrecke von knapp 120 Punkten bzw. drei Prozent absolviert.
Zum scharfen Reversal beigetragen habe ein Ende des im Februar noch scharfen Renditeanstieges sowie moderatere Töne aus den Reihen der FED. Hätten sich nach den überraschend hohen Inflationsdaten im Februar die zeitweise gesunkenen Renditen von US-Staatsanleihen wieder erholt und vor allem Falken wie Loretta Mester, Chefin der Cleveland-FED, den Ton angegeben, sie habe für die nächste Sitzung der US-Notenbank im März eine Leitzinsanhebung um 50 Basispunkte gefordert, hätten die US-Zinsen in den vergangenen Tagen etwas zurückgesetzt, während sich weitere FED-Mitglieder zu Wort gemeldet hätten und den Markt hätten wissen lassen, dass sie auch mit 25 Basispunkten leben könnten, solange eine Zinswende nicht vor dem kommenden Jahr stattfinde.
Obwohl die US-Notenbank seit vielen Wochen und Monaten bekräftige, dass eine Zinswende noch in diesem Jahr praktisch ausgeschlossen sei, habe der Markt lange gegen die FED gewettet. Inzwischen allerdings zeige die Markterwartung, festgehalten in den sog. FED-Futures, dass eine Zinswende für dieses Jahr ausgepreist ist und die in zweieinhalb Wochen bevorstehende Leitzinserhöhung nicht die letzte gewesen sein dürfte. Dieser Anpassungsprozess dürfte einen erheblichen Anteil an den Aktienmarktverlusten im Februar gehabt haben.
Nachdem eine Zinswende in 2023 ausgepreist worden sei, dürfte vom Zinsmarkt weiterer Gegenwind nur dann zu erwarten sein, wenn höhere als die bislang eingepreisten Zinsschritte eingepreist werden müssten. Dafür würden allerdings selbst die zuletzt höher als erwarteten Inflationsdaten nicht sprechen: Der von der FED bevorzugte Inflationsindikator PCE habe im Januar im Vergleich zum Vorjahr bei 5,4 Prozent (Kernrate: 4,7 Prozent) gelegen - das sei in den aktuellen Erwartungen bereits enthalten. Solange die kommenden Inflationsdaten nicht erneut höher ausfallen würden, sollte der zuletzt steile Renditenanstieg damit ein Ende haben.
Entwarnung für den US-Aktienmarkt bedeute das allerdings nur bedingt. Selbst wenn die Zinsen und Zinserwartungen nun nicht mehr weiter steigen würden, würden sie für längere Zeit hoch bleiben. Der Anleihemarkt trete damit in Konkurrenz zum Aktienmarkt, denn dessen Gewinnrendite (das umgekehrte Kurs-Gewinn-Verhältnis) liege aktuell bei 4,6 Prozent. Zum Vergleich würden Käuferinnen und Käufer einjähriger US-Staatsanleihen aktuell fünf Prozent erhalten - und das ganz ohne Risiko!
Damit der Aktien- gegenüber dem Anleihemarkt wieder attraktiver werde, müssten entweder die Zinsen wieder sinken (was aktuell nicht wahrscheinlich sei) oder die Gewinne der im S&P 500 notierten Unternehmen wieder steigen. Das allerdings sei zumindest in der abgelaufenen Quartalssaison nicht der Fall gewesen. Laut des Datendienstleisters Factset seien die Unternehmensgewinne im abgelaufenen Quartal um 4,9 Prozent und damit das erste Mal seit 2020 gefallen. Besserung sei erst einmal nicht zu erwarten, denn sowohl Analysten als auch die Unternehmen selbst würden auch für die kommenden drei Monate mit schwächeren Geschäften erwarten.
Die Erwartung schwächerer Geschäfte stelle den Aktienmarkt angesichts der hohen Zinsen vor ein Bewertungsproblem, wie der Vergleich von Gewinn- und Anleihenrendite gezeigt habe. Würden die Gewinnerwartungen nun weiter sinken, verliere der Aktienmarkt damit an Attraktivität. Für den S&P 500 würden Analysten in 2023 Gewinne von etwa 223 Dollar pro Anteil erwarten. Zum Schlusskurs vom Freitag (4.045 Punkten) bedeute das ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwa 18, auf dem Stand der bisher gezeigten Unternehmensergebnisse allerdings betrage das KGV für den S&P 500 aktuell 21,6 - das liege über dem langjährigen Mittel und auch über dem Mittel der Nullzinsjahre.
Nichtsdestotrotz: Werfe man ein Blick auf den Market Fair Value Index der Finanzinformationsagentur Morningstar sei der US-Markt aktuell gegenüber seinem fairen Wert mit 0,91 bewertet und hätte dementsprechend ein Aufwärtspotenzial von zehn Prozent bis etwa 4.400 Punkte. Für diesen Stand wäre der US-Markt bei der Gewinnschätzung von 223 Dollar mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 19,7 bewertet, was einer Gewinnrendite von 5,1 Prozent entspräche: Das wiederum, sollten sich die Analystenerwartungen erfüllen, wäre mit Blick auf die kommenden Monate gegenüber dem Anleihenmarkt durchaus konkurrenzfähig!
Dass die Gewinnrezession im abgelaufenen Quartal nicht noch deutlich stärker verlaufen sei, sei vor allem zwei Konstanten zu verdanken: Erstens dem anhaltend robusten US-Arbeitsmarkt sowie zweitens den weiter bärenstarken Einzelhandelsdaten. Im Januar (die Daten für Februar würden am kommenden Freitag bekannt gegeben) habe die US-Wirtschaft 517.000 Stellen aufgebaut - Volkswirte hätten lediglich mit 185.000 gerechnet. Auch die Zahl der Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe liege bereits seit Monaten auf historisch niedrigen Niveaus. Allen die Schlagzeilen bestimmenden Meldungen über Stellenabbau bei großen US-Konzernen zum Trotz: Wer in den USA einen Job suche, finde aktuell dank elf Millionen unbesetzter Stellen einen!
Bald schon könnten den US-Konsumenten die chinesischen zur Seite springen. Nach der ebenso überfälligen wie überraschend plötzlichen Aufhebung der Corona-Maßnahmen in China würden sich auch die Verbraucherinnen und Verbraucher dort eindrucksvoll zurückmelden - und hätten nach drei Pandemiejahren umgerechnet 2,6 Billionen Dollar auf der hohen Kante, die nur darauf warten würden ausgegeben zu werden: Ein potenziell gewaltiger Schub nicht nur für die chinesische, sondern die Weltwirtschaft! Komme China back online, dürfte das die durch den russischen Angriffskrieg erschütterte Weltwirtschaft einerseits stabilisieren, andererseits aber auch für neue Inflationsgefahren durch steigende Rohstoffpreise sorgen - ein zweischneidiges Schwert!
Die Hoffnung auf eine Wiederbelebung der chinesischen Konjunktur, die in der vergangenen Woche ihren Ausdruck in einem enormen Anstieg der Einkaufsmanagerindices gefunden habe, dürfte allerdings nur wenig wert sein, sollten sich geopolitische Spannungen verschärfen: Die USA hätten bereits Sanktionen angedroht, sollte China Russland im Krieg in der Ukraine mit Waffenlieferungen unterstützten und hierfür bereits um die Unterstützung bei Verbündeten geworben. Das zarte Pflänzchen Entspannungspolitik, das sich im vergangenen Jahr etwa noch bei der erfolgreichen Einigung für Audit-Verfahren für an US-Börsen notierte China-Aktien gezeigt habe, drohe damit bereits wieder einzugehen. Ganz zu schweigen von der aus Sicht Chinas ungeklärten Frage um die Souveranität von Taiwan.
Chancen und Risiken würden sich am US-Markt aktuell in einem fragilen Gleichgewicht befinden. Einerseits würden die steigenden Zinsen für Bewertungsrisiken am Aktienmarkt sorgen, andererseits sei die von der US-Notenbank kommunizierte Geldpolitik inzwischen eingepreist (zumindest für stabile Teuerungsraten) und die befürchtete Gewinnrezession bereits Realität.
Da Finanzmärkte vorausschauend seien, dürften diese vor allem auf eine Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage spekulieren - und hätten hierfür positive Entwicklungen, etwa die Wiedereröffnung der chinesischen Wirtschaft, auf ihrer Seite. Wie viel solche Verbesserungen am Ende aber Wert seien, hänge auch davon ab, welche geopolitischen Risiken sich in den kommenden Monaten bewahrheiten und welche sich vielleicht auch in Wohlgefallen auflösen würden.
Bleibe noch der technische Blick auf den US-Markt, hier würden sich durchaus konstruktive Tendenzen zeigen. Erstens sei dem S&P 500 der Ausbruch aus dem Bärenmarkt des vergangenen Jahres gelungen und zweitens habe der Ausbruch mit dem Test der gleitenden Durchschnittslinien sowie der Trendlinie des im Herbst gestarteten Aufwärtstrend eine erste Bewährungsprobe bestanden.
Allzu viel sei das Reversal der vergangenen zwei Tage allerdings noch nicht wert, denn dieses habe erstmal nur zur Rückkehr in die den Februar bestimmenden Bullenflagge geführt, die die Rally im Januar konsolidiert habe. Neue, prozyklische Kaufsignale würden sich im S&P 500 daher erst für einen Ausbruch aus der Flagge bzw. für einen Anstieg über 4.150/4.200 Punkte ergeben.
Für eine Verschlechterung der Lage sei ein Unterschreiten der gleitenden Durchschnitte zu beachten. In diesem Fall dürfte der S&P 500 das Verlaufstief bei 3.800 Punkten testen. Nachhaltige Verkaufssignale würden erst darunter entstehen. Setze man die Gewinnerwartungen der Analysten (223 Dollar) in Relation zu den charttechnisch relevanten Kursmarken, ergebe sich eine Spanne zwischen einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 17 für 3.800 Punkte und 18,8 für 4.200 Punkte - beides sei gegenüber dem Anleihenmarkt durchaus konkurrenzfähig.
Sollten sich allerdings die Gewinnerwartungen und die Höhe der Zinsen in den kommenden Monaten entscheidend verändern, seien faire Bewertungen auch zwischen 3.600 und 4.400 Punkten denkbar. Innerhalb diesen Bandbreiten, 3.800 bis 4.200 Punkte für geringfügige Veränderungen und 3.600 und 4.400 Punkte für größere Veränderungen der Rahmenbedingungen dürften sich die Kurse daher für den Rest des Jahres bewegen. Vielmehr als ein neuer Bullenmarkt oder die Fortsetzung des bisherigen Bärenmarktes sei daher ein Seitwärtsmarkt zu erwarten.
In Seitwärtsmärkten mit volatilen Veränderungen der Rahmenbedingungen sei das Sentiment der Anlegerinnen und Anleger, private und institutionelle gleichermaßen, entscheidend für Kursveränderungen. Hier habe die überschaubare Korrektur im Februar bereits Wirkung gezeigt. Die Bullenquote unter Privatanlegern sei zum Monatsende auf den niedrigsten Stand seit vielen Wochen gerutscht, US-Anleger seien mehrheitlich pessimistisch gestimmt.
Das Sentiment allerdings sei erstens oft ein guter Kontraindikator und zweitens eine Folge der vorigen Kursentwicklungen. Zumindest kurzfristig sei daher mit weiteren Kursgewinnen zu rechnen. Wer in den kommenden Monaten immer wieder einen Blick auch auf Sentimentindikatoren werfe, habe die Chance, die zu erwartenden Kursschwankungen frühzeitig zu antizipieren.
Chancen und Risiken stünden sich am US-Markt aktuell gleichberechtigt gegenüber. Was der weitere Verlauf diesen Jahres mit dem des letzten gemeinsam haben dürfte, sei vor allem die Ungewissheit über die Entwicklung einer Vielzahl, die kommenden Monate bestimmender Faktoren. Anstatt stabiler Trends sei daher ein volatiler Seitwärtsmarkt zu erwarten, der vor allem Traderinnen und Tradern zugutekommen dürfte, die bereit seien, sich auf beiden Seiten zu positionieren, die also Schwäche kaufen und Stärke verkaufen würden. Hierfür seien im S&P 500 vor allem 3.800 und 4.200 Punkte zu beachten. (06.03.2023/alc/a/a)
Aktuelle Kursinformationen mehr >
Kurs | Vortag | Veränderung | Datum/Zeit | |
8,70 % | 8,10 % | 0,60 % | +7,41% | 24.02./22:00 |
ISIN | WKN | Jahreshoch | Jahrestief | |
10,40 % | 7,30 % |
23.03.23
, Oberbank
Erfreuliche Inflationsdaten aus Kanada