USA im Goldilocks-Glück, Europa in Stagflation


07.09.23 15:00
Hamburg Commercial Bank

Hamburg (www.anleihencheck.de) - Die Renditen von zehnjährigen T-Notes (aktuell: 4,28%) und Bundesanleihen (aktuell: 2,63%) sind in den letzten Tagen gestiegen, so Dr. Tariq Chaudhry, Economist bei der Hamburg Commercial Bank.

Dieser Anstieg sei hauptsächlich durch die USA ausgelöst worden, die auf das sogenannte Goldilocks-Szenario hinarbeiten würden. Für das Szenario würden weiterhin ein robuster Arbeitsmarkt, konstant sinkende Gesamtinflation und insgesamt stabile wirtschaftliche Bedingungen, abgesehen von einer Abschwächung in der Industrie, sprechen. Die geringe Dynamik in der globalen Industrie sei u. a. in Peking zu finden, da die Verantwortlichen trotz wirtschaftlicher Herausforderungen keine fundamentalen Konjunkturanreize setzen würden. Europa leide stärker unter dieser Schwäche und befinde sich in einer Stagflation. Obwohl die wirtschaftlichen Bedingungen in den USA und Europa unterschiedlich seien, würden sowohl die FED als auch die EZB im September voraussichtlich eine Zinspause einlegen.

In Europa bleibe die wirtschaftliche Lage weiterhin besorgniserregend. Im August habe sich die Unternehmensstimmung im Euroraum weiter verschlechtert. Der HCOB PMI Einkaufsmanagerindex sei um 1,9 Punkte auf 46,7 Punkte gefallen und die erste Schätzung um 0,3 Punkte nach unten korrigiert worden. Dies sei der niedrigste Stand seit November 2020 während der Pandemie. Besonders besorgniserregend sei der unerwartete Anstieg der Inputpreise laut der PMIs, der auf eine mögliche Lohn-Preis-Spirale hindeute und die Inflation belasten könnte. Daher sei es wenig überraschend, dass sich die Wirtschaftsstimmung im Euroraum im September erneut verschlechtert habe. Der Konjunkturindikator von Sentix sei um 2,6 Punkte auf minus 21,5 Punkte gefallen, nachdem er sich im Vormonat leicht aufgehellt habe. Die Lage in Deutschland sei besonders prekär und belaste die gesamte Wirtschaft im Euroraum erheblich. Der einzige positive Aspekt im Euroraum scheine der Arbeitsmarkt zu sein, der laut den August-Daten weiterhin stabil sei. Die Arbeitslosenquote in der Eurozone verharre seit Juni auf dem Rekordtief von 6,4 Prozent. Allerdings dürfte sich die Europäische Zentralbank (EZB) bald in einem Dilemma widerfinden, wenn sich eine Lohn-Preis-Spirale entfalte, da sie auf der einen Seite aufpassen müsse, dass sie die absehbare Rezession nicht unnötig vertiefe und auf der anderen Seite ihr Inflationsziel von 2% nicht aus den Augen verliere. Eine anhaltende Stagflation werde immer wahrscheinlicher. Für das EZB-Meeting im September erwarten die Hamburg Commercial Bank jedoch, dass eine Mehrheit für eine Zinspause stimmen werde.

Die Stimmung in Europa bleibe weiterhin gedämpft, insbesondere aufgrund der Turbulenzen in der chinesischen Wirtschaft. Besorgniserregende Nachrichten kämen vor allem aus dem wichtigen Bausektor. Das chinesische Bauunternehmen Country Garden hatte vor einer möglichen Zahlungsunfähigkeit gewarnt und Zweifel an seiner Fortführung geäußert, nachdem es im ersten Halbjahr einen Rekordverlust von fast 7 Milliarden US-Dollar verzeichnet habe. Zwar habe der schwer angeschlagener Immobilienriese Country Garden überfällige Zinsen für zwei Dollar-Anleihen auf den letzten Drücker nachzahlen können, aber aus dem Schneider sei der Konzern damit aber noch lange nicht. Die Immobilienkrise in China scheine sich zu verschärfen, was sich in einem starken Rückgang der Verkäufe neuer Häuser im Juli zeige, wie es seit einem Jahr nicht mehr der Fall gewesen sei. Selbst von der Regierung eingeführte Hilfsmaßnahmen für den Immobiliensektor dürften das verlorene Vertrauen der Investoren in den Markt wahrscheinlich nicht wiederherstellen können.

Die Probleme in China hätten auch Auswirkungen auf die Stimmung in den USA. Trotz einer insgesamt robusten US-Wirtschaft habe es im Juli einen Rückgang der Auftragseingänge in der Industrie um 2,1% im Vergleich zum Vormonat gegeben. Dieser Rückgang sei jedoch geringer gewesen als von Analysten erwartet, die im Durchschnitt mit einem stärkeren Rückgang von 2,5% gerechnet hätten. Ansonsten scheine die US-Wirtschaft auf ein sogenanntes Goldilocks-Szenario hinzuarbeiten, was auf ein wirtschaftliches Umfeld hinweise, das als "genau richtig" für Wachstum und Stabilität angesehen werde - weder zu heiß (mit hoher Inflation) noch zu kalt (stagnierend oder in einer Rezession). Die Lage auf dem US- Arbeitsmarkt verbessere sich allmählich und nähere sich dem Niveau vor der Pandemie an. Obwohl im August das Jobwachstum die Erwartungen um 17.000 neue Stellen übertroffen habe, sei überraschend die Arbeitslosenquote von 3,5 auf 3,8 Prozent angestiegen. Die Zahl der Arbeitslosen habe sich um 514.000 auf 6,4 Millionen erhöht und liege nun über den 6,0 Millionen des Vorjahresmonats. Dies habe zum Teil darin begründet gelegen, dass die Partizipationsrate - der Anteil der Erwerbspersonen an der Gesamtheit der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter - von 62,6 auf 62,8 Prozent angestiegen sei.

In Washington dürften die Mitglieder des FOMC in zwei Wochen eine Zinspause einlegen, was durch Kommentare von FED-Gouverneur Christopher Waller unterstützt werde, der sich für ein "behutsames Vorgehen" ausgesprochen habe. Die jüngste starke Erhöhung des Rohölpreises der Sorte Brent auf über 90 USD, bedingt durch die erweiterten Quotenkürzungen der OPEC+-Mitglieder für den Rest des Jahres, könnte jedoch Anlass zur Sorge für die FED-Mitglieder sein.

In der kommenden Woche seien wenige Datenveröffentlichungen geplant, wobei das Highlight die US-CPI-Inflation im August (13.09.) sein werde. Hier werde ein erneuter Anstieg erwartet, nachdem die Inflation im Juli leicht gestiegen sei (von 3% auf 3,2%). Neben statistischen Effekten würden auch höhere Energiepreise dazu beitragen, die sich in den aktuellen Ölpreiserhöhungen widerspiegeln würden. Zudem erwarte man Kreditdaten aus China (09.09.), die Aufschluss darüber geben könnten, ob die chinesischen Regierungshilfen für den Immobiliensektor Früchte tragen würden. (Wochenbarometer vom 07.09.2023) (07.09.2023/alc/a/a)






hier klicken zur Chartansicht

Aktuelle Kursinformationen mehr >
Kurs Vortag Veränderung Datum/Zeit
1.925,15 $ 1.920,18 $ 4,965 $ +0,26% 22.09./22:55
 
ISIN WKN Jahreshoch Jahrestief
XC0009655157 965515 2.079 $ 1.615 $