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Streit um die Schuldenobergrenze: Wenn Politik und Schulden nicht zusammenpassen


08.05.23 15:00
Janus Henderson Investors

London (www.anleihencheck.de) - An den Finanzmärkten wächst die Besorgnis über die drohende Schuldengrenze, so Jim Cielinski, Global Head of Fixed Income und Garrett Strum, Portfolio Manager und Money Market Analyst, Janus Henderson Investors.

Die USA hätten inzwischen die gesetzlich festgelegte Obergrenze von 31,4 Billionen US-Dollar überschritten. Ohne einen Beschluss des Kongresses werde das US-Finanzministerium keine Kredite mehr aufnehmen können und in den kommenden Wochen kein Geld mehr haben. Ein Ausfall von US-Staatsanleihen oder -Schuldscheinen, der Definition eines risikofreien Assets schlechthin, sei nahezu unvorstellbar. Die Auswirkungen wären weitreichend und dürften sämtliche Risikoanlagen in Mitleidenschaft ziehen.

Dieses Ausfallrisiko sei äußerst gering. Als sogenanntes Tail-Risk könnten jedoch schon kleine Veränderungen im Narrativ die Märkte beeinflussen. Ein Anstieg der Ausfallwahrscheinlichkeit von 0,2% auf 5,0% beispielsweise würde Schockwellen durch viele Teile des Marktes senden.

Janus Henderson Investors gehe davon aus, dass hier das gleiche Szenario wie bei früheren Debatten um die Schuldenobergrenze zum Tragen komme: Die Verhandlungen würden bis zum Äußersten gehen, aber die Krise werde im letzten Moment abgewendet werden, wenn auch nur durch eine oder mehrere vorläufige Vereinbarungen. Für keine Seite gebe es einen Anreiz, zu früh einzulenken. Die knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat biete die Voraussetzungen dafür, dass dies einer der brutalsten Machtkämpfe seit 2011 werde. Damals habe er zu einer Herabstufung des US-Schuldenratings geführt. Das politische Gerangel um die US-Schuldenobergrenze sei inzwischen alltäglich.

Und das Drama ehme seinen erwarteten Lauf. Die Biden-Regierung wolle ein sauberes Schuldengesetz. Das von den Republikanern kontrollierte Repräsentantenhaus wolle eine Reihe von Ausgabenkürzungen, die mit dem Gesetzentwurf verknüpft seien und eine zusätzliche Kreditaufnahme unter folgenden Bedingungen zulassen würden: Wenn gleichzeitig die Erlassung der Rückzahlung der Studiendarlehen gestrichen, die Verteidigungsausgaben gesenkt, einige "grüne" Steuergutschriften abgeschafft und andere Kürzungen vorgenommen würden. Das Repräsentantenhaus habe zwar ein solches Gesetz verabschiedet, aber es bestehe keinerlei Aussicht, dass es vom Senat verabschiedet und vom Präsidenten unterzeichnet werde.

Welche Optionen gebe es?

Der Schwerpunkt liege auf dem "Tag X" - dem Tag, an dem das Finanzministerium seine Barreserven ausschöpfe und seinen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen könne. Die meisten Schätzungen würden davon ausgehen, dass dies im Juli oder August der Fall sein werde. Es könnte aber auch schon früher der Fall sein, wie die jüngste Prognose von Janet Yellen zeige, die einen Termin Anfang Juni für möglich halte. Das potenzielle Zeitfenster für den Tag X erstrecke sich über eine relativ große Bandbreite kurzfristiger Fälligkeiten.

Die Anleger würden einen beträchtlichen Renditeaufschlag verlangen, um Wertpapiere zu halten, die kurz nach dem voraussichtlichen Tag X fällig würden.

Die Lösung werde stark davon abhängen, wer die Schuld für das Chaos auf sich nehme. Die Öffentlichkeit werde die Zahlungsunfähigkeit als Folge der Inkompetenz betrachten. Die erste Regel der Politik laute: Es sei in Ordnung, wenn die Opposition inkompetent erscheine - aber nicht, wenn man es selbst sei! Daher werde das Hauptaugenmerk in den kommenden Tagen darauf liegen, dass die andere Seite die Schelte dafür erhalte.

Bis zum Tag X könne es mehrere Szenarien geben. Erstens könnten beide Parteien einfach einer kurzfristigen Verlängerung der Kreditobergrenze zustimmen und die Sache auf die lange Bank schieben, wie bereits im Oktober 2021 geschehen. Zweitens könnten beide Parteien einknicken und einen Kompromiss anstreben. Dies wäre jedoch schwierig, da der Sprecher des Repräsentantenhauses McCarthy die extremeren Mitglieder seiner Partei nur schwer zur Zustimmung bewegen könnte. Für die Demokraten wäre ein Kompromiss etwas plausibler, aber er würde als Zeichen der Schwäche wahrgenommen werden.

Wichtig sei, dass selbst bei einem Verstoß gegen den Stichtag ein Schuldenausfall verhindert werden könne und werde. Das Finanzministerium könnte versuchen, die Zins- und Tilgungszahlungen vorrangig zu leisten, obwohl dies als operativ schwierig gelte. Andere Verpflichtungen - wie Renten und Gehaltszahlungen - könnten ausgesetzt werden. Es würde wahrscheinlich zu einem vollständigen Stillstand der Regierung kommen, und die Öffentlichkeit würde sich schnell gegen den Kongress wenden.

Der schlimmste Fall

Was wäre bei einem tatsächlichen Zahlungsausfall? Wenn alles andere fehlschlage, könnte das Finanzministerium einige Fälligkeits- und Kuponzahlungen ausfallen lassen. Der Markt würde im Chaos versinken. Dies wäre jedoch wahrscheinlich nur von kurzer Dauer, da die Volatilität innerhalb weniger Tage eine Lösung herbeiführen würde, vermutlich bevor die technischen Fristen für die Behebung von Zahlungsausfällen ablaufen würden (d. h. weniger als drei Tage). Selbst in diesen Fällen wären die Schuldner sehr zuversichtlich, "entschädigt" zu werden. Sie würden keine Verluste erleiden, auch wenn der Weg dorthin sehr holprig wäre. Die Federal Reserve Treasury könnte auf verschiedene unerprobte Strategien zurückgreifen, wie den Rückkauf notleidender Anleihen zum vollen Wert, gigantische kurzfristige Repo-Fazilitäten und die Aufnahme notleidender Wertpapiere in ihre Geldmarkt-Liquiditätsfazilitäten. Und es würde alle diese Strategien nutzen - wahrscheinlich sogar einige, die noch nicht überprüft worden seien.

Fazit

Die Wahrscheinlichkeit eines Totalausfalls von Staatsanleihen liege nach wie vor bei weniger als 1%. Sollte er eintreten, hätte er als erhebliches Tail-Risk deutliche Auswirkungen auf die Märkte. Diese dürften jedoch schnell abklingen, da eine Lösung rasch gefunden würde. Daher würden sich die ersten Anzeichen von Volatilität auf die kurzfristigen Märkte beschränken, wo Geldmarktanleger nur ungern überfällige oder ausgefallene Fälligkeiten halten würden; die Renditen von Schatzwechseln seien im Laufzeitbereich von Juni bis August gestiegen, während sie sich in anderen Bereichen weitgehend unauffällig verhalten würden.

Man habe in den vergangenen Jahren im Streit um die Schuldenobergrenze viel gelernt. Die Volatilität möge in den finalen Phasen dieses leichtsinnigen Spielchens allgegenwärtig sein, aber der gesunde Menschenverstand - wenn nicht gar eine verantwortungsvolle Staatsführung - sollte sich letztendlich durchsetzen. (08.05.2023/alc/a/a)