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Schwellenländeranleihen: Ein Engagement könnte sich lohnen


04.09.23 10:40
Wellington Management

London (www.anleihencheck.de) - Bisher hat sich das weltweite Wirtschaftswachstum besser gehalten als allgemein erwartet. Dennoch könnten die entwickelten Märkte in eine Rezession abgleiten, so Tobias Ripka, Investment Director, und Gillian Edgeworth, Macro Strategist, bei Wellington Management.

Zwar halte Gillian Edgeworth eine Fortsetzung des aktuell schwachen Wachstums in den entwickelten Märkten für wahrscheinlich. Sollten sie doch in eine "normale"-Rezession abrutschen (hier definiere als zwei bis vier Quartale mit einem Rückgang gegenüber dem Vorquartal) dürften die meisten Emerging Markets (kurz: EM) diesen Abschwung allerdings relativ gut überstehen.

"Strategisch erhöhen Schwellenländeranleihen die Diversifikation im Portfolio und können die erwartete Rendite steigern. Sie bringen aber auch spezifische Risiken ins Portfolio, daher sollte sich die individuelle Gewichtung am vorhandenen Risiko-Budget orientieren", so Tobias Ripka.

Er erläutere: "Aktuell halten wir EM-Anleihen für besonders attraktiv, insbesondere Lokalwährungsanleihen, die Zugang zu den lokalen EM-Zinszyklen bieten. Die meisten EM-Zentralbanken haben ihren Zinszyklus abgeschlossen und liegen bereits über ihrer aktuellen Inflationsrate. Die EM-Zinsniveaus sind daher aktuell attraktiv. Zudem gehen wir davon aus, dass im Falle einer Rezession, die den Inflationsdruck abschwächen sollte, die Schwellenländer schnell mit Zinssenkungen reagieren werden und damit auch für ein Rezessions-Szenario relativ gut aufgestellt sind. Mit Blick auf die aktuellen Zinsniveaus, Haushaltsdefizite und erwartete Zinspolitik erscheinen vor allem Länder in Mittel- und Osteuropa sowie Lateinamerika besonders attraktiv."

Laut Gillian Edgeworth würden Wirtschaftsmodelle zwar dazu neigen, das Risiko einer Rezession zu überschätzen - unter anderem, weil der Dienstleistungssektor unterrepräsentiert sei -, doch die Geschichte zeige, dass weiche Landungen eher die Ausnahme seien. Mehrere Indikatoren würden auf eine steigende Wahrscheinlichkeit eines negativen Wachstums in den kommenden Quartalen hinweisen.

Die Analyse zeige zum Beispiel Folgendes:

- In der Vergangenheit habe es bei einer Inversion der US-Zinsstrukturkurve durchschnittlich 13 Monate gedauert, bis die Konjunktur ihren Höhepunkt erreicht habe. Die Zinsstrukturkurve sei in den USA seit 11 Monaten invers.

- Es gebe sehr zaghafte Anzeichen für eine Abschwächung am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit in den USA beginne ganz allmählich zu steigen. Die Geschichte zeige, dass die Arbeitslosigkeit in den Fällen, in denen sie so niedrig gewesen sei wie heute, zwölf Monate später in der Regel um ein bis zwei Prozentpunkte höher gelegen habe.

Die Emerging Markets hätten in den letzten drei Jahrzehnten harte Anpassungen durchlaufen. Seit der Einführung der Anlageklasse hätten sie aber wenig oder gar keine Erfahrung mit einer normalen Rezession in den Industrieländern gemacht. Die globale Finanzkrise und COVID seien weitaus größere Schocks gewesen, und sowohl beim sogenannten "Taper Tantrum" des Jahres 2013 als auch beim Einbruch der Rohstoffpreise in den Jahren 2014 und 2015 seien die Emerging Markets aufgrund ihrer hohen Defizite und ihrer Abhängigkeit von Rohstoffen stark in Mitleidenschaft gezogen worden.

Sollten die Industrieländer diesmal eine eher normale Rezession erleben, werde dies zweifellos negative Auswirkungen auf die Emerging Markets haben. Die Experten würden aber denken, dass diese für die meisten eher unangenehm als unüberwindbar sein würden.

Im Falle einer Rezession in den Industrieländern würden die Experten davon ausgehen, dass die Emerging Markets die Entwicklung in den Industrieländern weitgehend widerspiegeln würden, d.h. das Wachstum werde sich weiter verlangsamen und möglicherweise schrumpfen, und die Arbeitsmärkte würden eine stärkere Korrektur als bisher durchlaufen. Allerdings sollte man das Ausmaß der Preisschwankungen bei Rohstoffen im Auge behalten, wobei die wichtigsten Rohstoffexporteure Lateinamerikas und Südafrikas am anfälligsten seien.

In einem Szenario, in dem die USA und die Eurozone im Laufe dieses Jahres oder in der ersten Jahreshälfte 2024 in eine Rezession abgleiten würden, dürften die Zentralbanken sowohl in den Industrieländern als auch in den Emerging Markets zuversichtlicher werden, dass die Inflation auf ihr Zielniveau zurückkehre, und mit Zinssenkungen beginnen. Die Zentralbanken in den Emerging Markets würden sich wahrscheinlich schneller umstellen, wenn man bedenke, wie weit sie ihre Leitzinsen über das neutrale Niveau hinaus angehoben hätten.

Soweit eine normale Rezession in den Industrieländern den globalen Inflationsdruck verringere, wären die Zentralbanken der Emerging Markets weniger auf ihre Währungen angewiesen, um ihre Inflationsziele zu erreichen, was bedeute, dass sie eine gewisse Abwertung ihrer Währungen in Kauf nehmen könnten, wenn der US-Dollar stärker werde.

Eine solche Anpassung müsse nicht zwangsläufig eine Rückkehr zu dem Trend schwacher EM-Währungen des letzten Jahrzehnts bedeuten. Während in den Industrieländern sowohl die Zentralbankbilanzen als auch die Haushaltsdefizite stark ausgeweitet worden seien, seien die ausländischen Kapitalzuflüsse in die Lokalmärkte der Emerging Markets deutlich verhaltener gewesen.

Da die Experten mit einer Disinflation und Zinssenkungen rechnen würden, würden sie ein Durationsengagement in den Emerging Markets bevorzugen. Dabei würden sie die zentral- und osteuropäischen sowie die lateinamerikanischen Märkte vorziehen. Obwohl Zinssenkungen in Lateinamerika und Zentral- und Osteuropa den Carry reduzieren würden, dürften die Ausgangslage bei den Leitzinsen, überschaubare Defizite und vorsichtige Zinssenkungen die Währungen stützen.

Die Experten würden EM-Anleihen derzeit positiv sehen, seien aber im Hinblick auf Fremdwährungsanleihen verglichen mit Lokalmärkten vorsichtig eingestellt aufgrund der engen Spreads gegenüber den historischen Daten in den Emerging Markets sowie gegenüber Investment-Grade- und High-Yield-Anleihen in den Industrieländern. (04.09.2023/alc/a/a)