Erweiterte Funktionen

Rentenmärkte: Angst vor dem Overdrive


10.03.23 09:06
Hamburg Commercial Bank

Hamburg (www.anleihencheck.de) - Die zehnjährigen Renditen der Staatsanleihen der USA und Deutschlands haben sich in den vergangenen Tagen wieder von ihren Zwischenhochs entfernt, während die zweijährigen Renditen deutlich gestiegen sind, so die Analysten der Hamburg Commercial Bank AG.

Damit habe sich die Zinsstruktur (definiert als zehnjährige Rendite - zweijährige Rendite) dies- und jenseits des Atlantiks deutlich weiter invertiert. Bei den T-Notes liege 10-2 inzwischen bei -108 BP, bei den deutschen Bunds liege die Differenz bei -70 BP.

Was sei passiert? FED-Präsident Jerome Powell habe bei seinem alle halbe Jahr stattfindenden Auftritt vor den Finanzkomitees des Senats und des Abgeordnetenhauses deutlich gemacht, dass die FED von den robusten Konjunkturdaten überrascht worden sei und eine niedrigere Inflation erwartet hätte. Wenn es so weitergehe - so Powell - müsse man das gerade erst verlangsamte Zinsanhebungstempo wieder beschleunigen, also größere Zinsschritte durchführen. Die "ultimate rate" könne daher höher liegen als bislang erwartet. Die Terminmärkte würden das gut widerspiegeln. So werde gemäß der FED Fund Futures per Sitzung im September eine FED Fund Rate von 5,61% gesehen.

Der Impuls aus den USA sei in der Eurozone auf fruchtbaren Boden gefallen, denn auch hierzulande seien die Inflationsdaten zuletzt höher als erwartet ausgefallen und die Konjunktur habe sich überraschend robust entwickelt. Vor allem würden erhebliche Lohnsteigerungen drohen, wie die massiven Lohnforderungen der Gewerkschaft Verdi in Deutschland erahnen lassen würden. Daher würden die Terminmärkte auch hierzulande einen höheren Einlagenzins zeigen bzw. dass die "ultimate rate" erst im Oktober mit 4,04% erreicht werde. Dies liege erheblich über dem derzeitigen Wert von 2,5% und auch über der bisherigen Jahresendprognose der Analysten von 3,25%.

Tatsächlich habe auch die EZB-Chefin Christine Lagarde bereits die Spekulationen über eine aggressivere Gangart etwas angeheizt, als sie zuletzt erneut den praktisch angekündigten Zinsschritt von 50 BP bei der Sitzung in der kommenden Woche am 16. März als "sehr sehr wahrscheinlich" kommentiert habe.

Dass in diesem Umfeld die zehnjährigen Renditen sinken würden, habe damit zu tun, dass einige Anleger befürchten würden, die FED und die EZB könnten in den Overdrive gehen, also überreagieren. Tatsächlich würden sich die Notenbanken in einem Dilemma befinden. Auf der einen Seite wollten sie sich nicht vorwerfen lassen, angesichts von nicht tolerierbaren Inflationsraten durch zu kleine Zinsschritte oder gar Zinspausen ein Entwarnungssignal zu geben. Auf der anderen Seite würden sie wissen, dass die Zinskeule in vielen Sektoren erst mit einer gewissen Verspätung ankomme und es daher sein könne, dass die höheren Zinsen in ein paar Monaten eine Rezession auslösen würden, die umso tiefer ausfalle, je stärker die Zinsen vorher angehoben worden seien. Die Overdrive-These werde gestützt durch die Inflationserwartungen, die laut 5-Jahres Inflationsswap in nur wenigen Tagen von knapp 2,60% auf rund 2,40% gefallen seien.

Zurück zur EZB-Sitzung: Hier sei in der kommenden Woche auch auf die neuen Prognosen der EZB-Experten vor allem für die Inflation zu achten. Wenn sich die EZB-Inflationsprognose für das Jahr 2025 von derzeit 2,3% noch weiter von dem Inflationsziel von 2% entfernen sollte, unterstütze das die These einer aggressiveren Gangart an der Zinsfront. Die Analysten würden dann vermutlich ihre bisherige Zinsprognose, die vor einigen Monaten durchaus als mutig habe gelten können, anheben. Thema dürfte auch der in diesem Monat begonnene Abbau des APP-Bondportfolios sein. Bis Juni sei der Pfad festgelegt (im Durchschnitt 15 Mrd. Euro Rückgang pro Monat), für danach könnte im Sinne einer Inflationsbekämpfung eine beschleunigte Gangart von vielleicht 20 Mrd. Euro gewählt werden.

Eine weitere Frage werde sicherlich auch sein, wie einig man sich in der EZB über die Zinspolitik sei. Der Notenbankchef Italiens, Ignazio Visco, spreche sich beispielsweise gegen Vorfestlegungen aus und auch der französische Amtskollege François Villeroy de Galhau scheine eine vorsichtigere Gangart vorzuziehen. Neben Lagarde spreche sich dagegen Direktoriumsmitglied Isabell Schnabel, Joachim Nagel von der Bundesbank sowieso, sinngemäß dafür aus, die Geldpolitik lieber zu viel als zu wenig zu straffen.

In den kommenden Tagen dürfte der von US-Präsident Joe Biden am 9. März 2023 vorzulegende Haushaltsplan diskutiert werden und das Thema der ausstehenden Anhebung der Schuldenobergrenze wieder in Erinnerung rufen. Weiter sei zu beobachten, ob die Reise der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (10.03.) an den handels- und industriepolitischen Spannungen zwischen den USA und der EU etwas ändere. Der Nationale Volkskongress in China werde noch bis Montag (13.03.) tagen.

Datenseitig sei auf die US-Arbeitsmarktzahlen zu achten, nachdem im Januar ein überraschend starker Beschäftigungszuwachs dokumentiert worden sei (10.03.). Von noch größerer Bedeutung für die US-Notenbanksitzung, die am 21. und 22.03. stattfinde, würden die Inflationszahlen für Februar sein (14.03.). Auch auf die detaillierten Inflationsdaten für die Eurozone sollte man achten (17.03.). (Ausgabe vom 09.03.2023) (10.03.2023/alc/a/a)