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Polen: Zinssenkungszyklus mit einem Knall eingeläutet


08.09.23 10:40
DekaBank

Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Die Statistiken zum polnischen Bruttoinlandsprodukt sind zwar volatil und revisionsanfällig, zeigen dennoch eine ausgeprägte Konjunkturschwäche im zweiten Quartal 2023 an, für die in erster Linie der Rückgang der Konsumnachfrage sorgte, so die Analysten der DekaBank.

Die Analysten hätten ihre Prognose für Polen nach unten revidiert und würden nun 2023 eine Schrumpfung des BIP um 0,6% erwarten. Trotz der Konjunkturschwäche erscheine die Entscheidung der polnischen Zentralbank vom 6. September, den Leitzins gleich um 75 Bp auf 6,0% zu senken, aus volkswirtschaftlicher Sicht wenig nachvollziehbar.

Die Arbeitsmarktsituation bleibe weiterhin gut und die Arbeitslosigkeit niedrig. Die Inflationsdynamik auf mom-Basis habe sich erst seit Mai im Bereich um 0,0 eingependelt. Die Kerninflation bleibe wie die Headline-Rate (August: 10,1% yoy) noch zweistellig. Die Inflationsrate dürfte nach Prognosen der Analysten frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2024 den Zielbereich (2,5%) erreichen. Die Konstellation schreie förmlich "Gefahr von Zweitrundeneffekten".

Die unverständliche Hastigkeit der geldpolitischen Lockerung lege den Verdacht nahe, dass die Entscheidung politisch motiviert sei, um die Wahlchancen der Regierungspartei PiS bei den Parlamentswahlen zu verbessern - auch wenn der Zentralbankgouverneur dies explizit bestritten habe. Dies sei alles andere als förderlich für die Glaubwürdigkeit der Zentralbank, was den Zloty insbesondere im September-Oktober weiter unter Druck bringen dürfte. Die Analysten würden erwarten, dass die Zentralbank im September "nur" ihre für 2023 geplanten Schritte vorgelagert habe und nun eine mehrmonatige Pause einlege.

Der Ausgang der Parlamentswahl am 15. Oktober bleibe weiterhin völlig offen. Das von der Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" angeführte Wahlbündnis "Vereinte Rechte" führe weiterhin in den Meinungsumfragen, habe jedoch mit je nach Umfrage ca. 33 bis 38% deutlich weniger Vorsprung gegenüber der größten Oppositionskoalition, die von der "Bürgerplattform" (PO) angeführt werde (ca. 27 bis 32%), als 2019.

Die hohen Umfragewerte der rechten Protestpartei "Konföderation" (ca. 10 bis 11%), die bereits angekündigt habe, keine Koalitionen eingehen zu wollen, könnten rechnerisch dazu führen, dass weder die PiS noch die PO eine Regierungsmehrheit bilden könnten. Es erscheine wahrscheinlicher, dass die "Konföderation" als Protestpartei eher eine PO-angeführte Regierung unterstützen würde, doch angesichts der deutlichen Unterschiede der Wahlprogramme dürfte sich eine solche Zusammenarbeit eher schwierig gestalten.

Der Ausgang der Parlamentswahlen werde die Beziehungen zu der EU für die nächsten Jahre prägen. Der Angriffskrieg Russlands in der Ukraine verändere die Sicherheitslage für Polen als Anrainerstaat mit einer ausgeprägt Russland-feindlichen Position. Die NATO-Mitgliedschaft dürfte das Land allerdings wirksam gegen eine mögliche Aggression schützen.

Der Konflikt mit der EU in Bezug auf die Zuteilung der Mittel aus der Wiederaufbau- und Resilienzfazilität der EU (23,9 Mrd. Euro an Zuschüssen und 12,1 Mrd. an Krediten) halte weiterhin an und dürfte erst gelöst werden können, wenn nach den Parlamentswahlen am 15. Oktober 2023 eine neue Regierung gebildet worden sei. Die Fiskalpolitik der PiS-Regierung sei expansiv ausgerichtet, doch das hohe Wachstum und der Anstieg der Inflationsrate hätten bisher einen deutlichen Anstieg der öffentlichen Verschuldung verhindert. Der Rückgang der Energiepreise habe zu einer Verbesserung des Leistungsbilanzsaldos geführt.

Derzeit werde die Bonität Polens durch die Ratingagenturen im unteren A-Bereich gesehen. Alle drei großen Agenturen würden einen stabilen Ausblick für ihr Rating vergeben, was sich allerdings je nach Wahlausgang und den Erfolgen bei der Inflationsbekämpfung in 2024 ändern könnte. (08.09.2023/alc/a/a)