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Hat die EZB ihre letzte Zinserhöhung in diesem Zyklus vorgenommen?


15.09.23 12:00
M&G Investments

London (www.anleihencheck.de) - Zugegebenermaßen hat EZB-Präsidentin Lagarde sorgfältig jede endgültige Aussage vermieden, um sich alle Optionen offen zu halten, so Dr. Wolfgang Bauer, Fondsmanager im Public Fixed Income Team von M&G Investments.

Aber der Passus "Die Leitzinsen der EZB haben ein Niveau erreicht, das, wenn es für eine ausreichend lange Zeit beibehalten wird, einen wesentlichen Beitrag zur rechtzeitigen Rückkehr der Inflation zum Zielwert leisten wird" in der offiziellen Pressemitteilung sei wahrscheinlich so eindeutig, wie es in der Welt der verschlungenen Zentralbanksprache nur sein könne.
Wenn die europäische Inflation nicht unerwartet wieder ansteige, habe die EZB ihren Zielwert erreicht. So hätten die Anleihemärkte die Entscheidung der EZB interpretiert, die weithin als "dovish hike" angesehen worden sei und die Anleiherenditen auf breiter Front habe sinken lassen.

Es gebe zwei gute Gründe, warum die EZB den Fuß vom Gas nehmen sollte. Erstens könne es Schätzungen zufolge bis zu 18 Monate dauern, bis die wirtschaftlichen Auswirkungen von Zinsentscheidungen tatsächlich spürbar würden. Da die Kerninflation in Europa allmählich nachlasse, könnte es für die EZB ratsam sein, erstmal die Auswirkungen ihrer zehn aufeinander folgenden Zinserhöhungen in den kommenden Monaten zu beobachten. Zweitens würden sich die makroökonomischen Aussichten merklich eintrüben. Die EZB habe eingeräumt, dass die Verschärfung der finanziellen Bedingungen die Binnennachfrage in Europa gedämpft habe. In Kombination mit dem sich abschwächenden internationalen Handelsumfeld habe dies die EZB-Mitarbeiter dazu veranlasst, ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum deutlich zu senken. Für die Zukunft werde erwartet, dass die Wirtschaft des Euroraums im Jahr 2023 um 0,7%, im Jahr 2024 um 1,0% und im Jahr 2025 um 1,5% geringfügig wachsen werde. Zwischen einem schwachen Wachstum und einer "harten Landung" liege natürlich nur ein schmaler Grat - ein Szenario, das die EZB gerne vermeiden würde. Die Zinssätze vorerst nicht zu erhöhen, könnte die beste Lösung sein, denn weitere Zinserhöhungen könnten Teile des Euroraums in eine Rezession stürzen.

Wenn es an der Zinsfront wirklich ruhig werde, was komme dann als Nächstes auf die EZB zu? M&G Investments gehe davon aus, dass sich der Schwerpunkt auf die Anleihekaufprogramme verlagern werde. Unwahrscheinlicher sei, dass in Frankfurt ein aktiver Verkauf von Anleihebeständen nach dem Vorbild der Bank of England ernsthaft in Erwägung gezogen werde, aber Fragen zu Reinvestitionen würden weiterhin aufkommen. Zur Erinnerung: Der Umfang des EZB-Anleihekaufprogramms (APP) schrumpfe, da das Eurosystem ab Juli 2023 die Kapitalzahlungen aus fällig werdenden Wertpapieren nicht mehr reinvestiere. Dies gelte jedoch nicht für das Pandemie-Notkaufprogramm (PEPP). Die EZB beabsichtige, Kapitalzahlungen innerhalb des PEPP-Anleiheportfolios von ca. 1,7 Billionen Euro mindestens bis Ende 2024 zu reinvestieren.

Auf der gestrigen Pressekonferenz der EZB zu den PEPP-Reinvestitionen befragt, habe Präsidentin Lagarde alle Spekulationen über einen möglichen Kurswechsel schnell zurückgewiesen. Und aus ihrer Sicht sei eine gewisse Abneigung gegen eine Abschaffung der Reinvestitionen, die den Umfang und die Bedeutung des PEPP verringern würde, verständlich. Im Gegensatz zum APP, das strenge, auf dem Kapitalschlüssel basierende Regeln für die Zuteilung der Anleihekäufe im Euroraum vorschreibe, biete das PEPP der EZB einen viel größeren Spielraum. Da das PEPP vor dem Hintergrund des zunehmenden Drucks auf die europäische Peripherie auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie geschaffen worden sei, könnten Investitionen im Rahmen des PEPP beispielsweise unverhältnismäßig stark auf Emittenten von Anleihen der Peripherie ausgerichtet werden. Wenn es hart auf hart komme, biete das PEPP der EZB theoretisch genügend Flexibilität und Feuerkraft, um zu verhindern, dass die Spanne zwischen den europäischen Anleihen der Peripherie und der Kernländer unangemessen auseinandergehe. In diesem Sinne verstehe die EZB das PEPP als ein Instrument zur Steuerung der Spreads. Es sei schwer, ein so mächtiges Instrument loszulassen und zu sehen, wie es durch die Einstellung der Reinvestitionen langsam verblasse.

Dennoch glaube M&G Investments, dass die Tage des PEPP endgültig gezählt seien. Die dunklen Tage des "Pandemie-Notfalls" - der Hinweis stecke im Namen - lägen längst hinter uns. Die Fortführung der PEPP-Reinvestitionen wirke wie ein Anachronismus. Und sie stehe im Widerspruch zur Abkehr der EZB von einer ultralockeren zu einer wesentlich strafferen Geldpolitik angesichts der weit über dem Zielwert liegenden Inflationszahlen im Euroraum, was potenzielle Glaubwürdigkeitsprobleme aufwerfe. Es wäre überraschend, wenn die Reinvestitionen in das PEPP wirklich bis Ende 2024 erfolgen würden. (15.09.2023/alc/a/a)