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Haben die Zinssätze ihren Höhepunkt erreicht?


03.05.23 10:45
Columbia Threadneedle

Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Während die US-Notenbank die Zinssätze voraussichtlich bis zum Jahresende senken wird, fährt die Europäische Zentralbank (EZB) mit der Straffung ihrer Geldpolitik fort, so Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments.

Damit seien Rezessionsrisiken in den USA jetzt deutlich höher als in Europa - eine Trendwende zu den Erwartungen von Ende 2022. Im Falle einer Rezession sei mit starken Zinssenkungen durch die US-Notenbank zu rechnen. Allerdings seien die Arbeitsmärkte sehr angespannt. "Das führt zu einem hohen Lohnwachstum und einer hohen Kerninflation in den USA und Europa", erklärt Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle. Die Zinssätze würden dementsprechend wahrscheinlich so lange weiter steigen, bis es deutliche Anzeichen für einen Beschäftigungsrückgang und eine Rezession in den USA gebe. "Solange dies nicht der Fall ist, wird die Fed die Zinsen wohl weiter anheben - wenn auch langsamer und in kleineren Schritten", so Bell.

Aktuell hinge jedoch alles von den Wirtschaftsdaten ab. Die Zentralbanken seien nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) und der Rettung der Credit Suisse nervös: Immerhin hätten die schnellen Zinserhöhungen zu Spannungen und Unsicherheiten im Finanzsystem geführt.

Die Kreditkrise in den USA sei ein Risiko. Sie sei dem Zusammenbruch der SVB vorausgegangen und spiegele den Anstieg der Zinssätze und die klaren Erwartungen einer Rezession in diesem Jahr wider. "Allerdings gibt es jetzt eine ganze Reihe kleinerer US-Banken, die nicht mehr nach Möglichkeiten zur Kreditvergabe suchen, sondern sich stattdessen auf das Überleben und die Stützung ihrer Bilanzen konzentrieren werden", erkläre Bell. Es bestehe die Gefahr einer Kreditklemme. Gegenwärtig handle es sich jedoch eher um eine Kreditverknappung, da die betroffenen Banken nur einen kleinen Teil des gesamten Kreditvolumens ausgemacht hätten.

Außerdem gebe es eindeutige Anzeichen dafür, dass die Verbraucher ihre "Covid-Sparschweine" - die während der Covid-Pandemie angesparten Gelder - nicht mehr so aktiv plündern würden und die Dynamik nachgelassen habe. Damit hätten sich die realen Ausgaben in den letzten sechs Monaten im Einklang mit den realen Einkommen abgeflacht. "Dies war der Schlüssel, der die USA im Jahr 2022 vor einer Rezession bewahrt hat. Nun scheint es unwahrscheinlich, dass dies auch in diesem Jahr funktionieren wird", warne der Chefökonom.

Europa habe dagegen einen guten Start ins Jahr 2023 hingelegt. Das Verarbeitende Gewerbe sei zwar relativ schwach, da die Unternehmen überschüssige Lagerbestände abbauen würden, aber Dienstleistungen hätten bereits angezogen. "Die deutschen Verbraucher scheinen den Einzelhandelsumsätzen zufolge nicht aktiv zu sein, aber vielleicht liegt das daran, dass sie sich in wärmere Gefilde begeben haben und ihr Geld eher für Dienstleistungen als für Waren ausgeben", sage Bell.

Die europäischen Verbraucher hätten angesichts einer Reihe von Krisen, die erst jetzt nachlassen würden, ihre "Sparschweine" weiter aufgestockt. Bell sehe darin die Chance für einen positiven Kreislauf: "Die sinkende Inflation bedeutet, dass die europäischen Verbraucher wieder Vertrauen fassen und einen Teil ihrer angesammelten Ersparnisse ausgeben. Das stärkt wiederum die Wirtschaft, und das Vertrauen wächst weiter." Gleichzeitig würden die Löhne in Europa wahrscheinlich stark ansteigen, wobei die Indexierung und andere rückwirkende Lohnzuschläge die Kaufkraft der Verbraucher weiter stärken würden.

Die Aufgabe der EZB sei also noch nicht erledigt. "Tatsächlich wird ein weiterer Anstieg des Lohnwachstums auf 4 Prozent im Jahr 2023 prognostiziert, so dass wir für den Rest des Jahres eine Reihe von Zinserhöhungen erwarten", so Bell.

Die Realzinsen für 10-jährige US-Staatsanleihen lägen bei über 1 Prozent, verglichen mit einem Durchschnitt von 0,5 Prozent noch vor der Covid-Pandemie. "Wenn die Inflationserwartungen wie bisher unter Kontrolle bleiben, profitieren im nächsten Jahr US-, britische und in geringerem Maße auch Bundesanleihen", sage Bell.

Aktien seien zwar durch Ergebnisse beflügelt worden, die die Erwartungen übertroffen hätten, doch dies geschehe vor dem Hintergrund einer robusten Wirtschaft. Außerdem seien die Erwartungen zuvor drastisch gesenkt worden. Die Anleger seien laut Bell für das kommende Jahr immer noch pessimistischer als die Analysten, die von einer Rezession in den USA in diesem Jahr ausgehen würden.

Die Gewinnmargen der Unternehmen seien in den USA bereits unter Druck geraten, was einen deutlichen Unterschied zu Europa und dem Vereinigten Königreich darstelle, wo die Margen gestiegen seien. "Daher mögen wir US-Aktien nicht, sind aber insgesamt neutral. Wir bevorzugen britische und europäische Titel", erkläre Bell.

Wenn die USA Ende des Jahres die Zinsen senken würden, während die EZB die Zinsen weiter anhebe, würden die Zinsen in Europa höher sein als in den USA. Und das sei eine dramatische Entwicklung mit Auswirkungen auf den US-Dollar und darüber hinaus. (03.05.2023/alc/a/a)