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Gefahr einer Deflationsspirale für China


14.09.23 10:45
J O Hambro CM

London (www.anleihencheck.de) - Im Juli lag der chinesische Verbraucherpreisindex bei -0,3 Prozent – die Wirtschaft hat eine Deflation erreicht. Erkennbar ist dies in den niedrigeren Rohstoffpreisen und der schwächeren Nachfrage der Wirtschaft. Im Zeitverlauf ist das ein drastischer Rückgang gegenüber der nur sechs Monate zuvor verzeichneten Inflationsrate von 2,1 Prozent. Was bedeutet dies für China und chinesische Aktien? James Syme, Senior Fund Manager bei J O Hambro Capital Management und Spezialist für Schwellenländer, analysiert die Situation:

Eine Deflation sei aus zwei Gründen besonders problematisch. Erstens mache der Deflationsprozess es für Verbraucher und Unternehmen attraktiv, Käufe aufzuschieben und auf niedrigere Preise zu warten. Wenn eine schwache Nachfrage die Deflation antreibe, würden diese Entscheidungen die Nachfrageschwäche verschärfen und den deflationären Impuls beschleunigen. Zweitens bestehe in Volkswirtschaften mit hoher Verschuldung die Gefahr einer Schulden-Deflationsspirale, bei der die Einkommen deflationieren, die Schulden aber nicht.

Dieses Schulden-Deflationsrisiko sei besonders für China relevant, wo das Kreditvolumen des Nicht-Finanzsektors im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) in den letzten zehn Jahren um mehr als 100 Prozentpunkte auf fast 300 Prozent des BIP gestiegen sei. Zum Vergleich: In Indien lägen diese Zahlen bei -7 Prozentpunkten und 173 Prozent des BIP und in Brasilien bei 45 Prozentpunkten und 173 Prozent des BIP. Eine ernsthafte Deflation in China würde ein erhebliches wirtschaftliches Risiko für die Kreditnehmer und damit auch für die Kreditgeber darstellen.

Eine wichtige Überlegung sei die relative Seltenheit von Deflation in den Schwellenländern (wo eine hohe Inflation eher als eine wesentliche Schwäche angesehen werde). Für die 23 wichtigsten Schwellenländer, für die Daten verfügbar seien, habe es in den letzten zwanzig Jahren nur 272 Monate mit negativen Verbraucherpreisdaten von insgesamt 5.520 Datenpunkten gegeben.

Aufschlussreich sei eine Analyse, wo und wann diese aufgetreten seien. Nach der Dot-Com-Pleite 2001 habe sich Taiwan in einer Deflation befunden, da die Exporte ins Stocken geraten seien. Der Einbruch im Jahr 2009 nach der globalen Finanzkrise habe in vielen exportorientierten Volkswirtschaften, darunter Chile, China, Malaysia, Taiwan und Thailand, zu sinkenden Preisen geführt. Griechenland, Ungarn und Polen seien nach der Krise in der Eurozone in den 2010er Jahren in die Deflation gerutscht. Und die Verlangsamung des Covid-Prozesses in den Jahren 2020/2021 habe in vielen Ländern zu einer anhaltenden Deflation geführt, insbesondere in Griechenland, Malaysia, Thailand, Taiwan und Katar. Kurz gesagt: Deflation trete in der Regel in exportorientierten Volkswirtschaften auf, die mit schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen konfrontiert seien. Das sei sowohl für die Bürger als auch für die Anleger eine schlechte Nachricht.

Die in China veröffentlichten Daten würden in diese Reihe passen: Darunter die Exporte, die bis Juli um 14,5 Prozent gesunken seien, die Immobilieninvestitionen, die seit Jahresbeginn um 8,5 Prozent zurückgegangen seien, und das schwache Frachtaufkommen im Schienenverkehr (2,6 Prozent bis Juli, aber ein Minus in den vorangegangenen drei Monaten). Die Arbeitslosenquote der 16- bis 24-Jährigen sei von 16,7 Prozent zu Beginn des Jahres auf 21,3 Prozent im Juni gestiegen (woraufhin Peking angeordnet habe, sie nicht mehr zu berechnen).

Was im Vergleich zu anderen Schwellenländern ungewöhnlich bleibe, sei die politische Reaktion. Sowohl 2009 als auch 2020 hätten viele Schwellenländerregierungen eine aggressive Finanz- und Geldpolitik verfolgt, um die Nachfrage zu stützen und einen deflationären Abschwung abzuwenden. Einige Schwellenländer hätten sogar auf eine drohende Deflation stark reagiert: Als sich die koreanische Inflation im Jahr 2019 dem Nullpunkt genähert habe, habe die Regierung eine fiskalische Lockerung in Höhe von 9,1 Prozent des BIP vorbereitet, um sicherzustellen, dass die schuldenbeladene koreanische Wirtschaft nicht in eine Schulden-Deflationsspirale gerate. Stattdessen bastele Peking weiterhin nur an den Rändern herum und senkte die Leitzinsen im August um 15 Basispunkte.

Diese Vergleiche seien ein weiterer Beleg für das grundlegende Problem in China, das eher ein politisches als ein wirtschaftliches sei. Die Politik habe zu ernsthaften finanziellen Belastungen für private Immobilienentwickler und zu Vertrauenskrisen bei Verbrauchern und Unternehmen geführt. Die Politik habe auch zu einem langsam aufflammenden Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten geführt, und die unzureichenden geld- und steuerpolitischen Reaktionen auf die Konjunkturabschwächung seien allesamt politische Entscheidungen. In den letzten Jahren und insbesondere seit Präsident Xi Jinping im Oktober 2022 die politische Vorherrschaft erlangt habe, sei die Richtung der chinesischen Politik weder für das Wirtschaftswachstum noch für die Finanzmärkte günstig gewesen. Ohne einen grundlegenden Richtungswechsel dieser politischen Entscheidungen werde die chinesische Wirtschaft weiterhin von Abschwächung, Deflation und zunehmenden Risiken bedroht sein. Die Experten von J O Hambro Capital Management bleiben in ihrem Portfolio untergewichtet in chinesischen Aktien. (14.09.2023/alc/a/a)