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Eurozone: Die Teuerung dürfte auf 6,1% gegenüber dem Vorjahr sinken


26.05.23 15:01
Raiffeisen Bank International AG

Wien (www.anleihencheck.de) - Die laufenden Verhandlungen zur Anhebung der US-Schuldenobergrenze dominieren aktuell die Finanznachrichten, so die Analysten der Raiffeisen Bank International AG (RBI).

Zur Erinnerung: Die selbstauferlegte Schuldenobergrenze der USA müsse bei Erreichen angehoben werden, da die USA ansonsten bereits bestehende Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen könnten, ein noch nie dagewesenes, potenziell katastrophales Szenario für die Weltwirtschaft und die globalen Finanzmärkte. Aktuell scheine sich ein Kompromiss zwischen den Diskutierenden abzuzeichnen, eine formale Einigung bestehe aber noch nicht. Eine solche wäre allerdings dringend nötig, liege doch mit dem 1. Juni der frühestmögliche errechnete Termin für eine potenzielle Zahlungsunfähigkeit der USA bereits in der nächsten Woche.

Ein Highlight des nächstwöchigen Datenkalenders stelle das Erscheinen der Schnellschätzung zur Eurozonen-Inflation im Monat Mai dar. Die Analysten der RBI würden davon ausgehen, dass sich die Teuerung deutlich verlangsamen und von 7,0% im April auf 6,1% gegenüber dem Vorjahr sinken werde.

Die positiven Nachrichten dürften dreifach sein. Erstens: Die Energiepreise dürften weiter sinken, da die Preise für Öl, Gas und Strom auf den Großhandelsmärkten klar niedriger als im Vorjahr seien. Zweitens: Die Lebensmittelpreisinflation - die (mit einer gewissen Verzögerung) stark mit der Energiepreisentwicklung korreliere - sollte ihren Höhepunkt überschritten haben und tendenziell sinken. Drittens: Die Preise für Güter ex Energie und Nahrungsmittel unterlägen einem Basiseffekt und ihr Anstieg sollte sich daher im Jahresvergleich ebenfalls verlangsamen.

Bei den Dienstleistungspreisen, die mehr als 40% des HVPI-Warenkorbs ausmachen würden, gebe es jedoch noch keine Anzeichen dafür, dass ihr Aufwärtstrend ein Ende finde. Da der Lohndruck wahrscheinlich weiterhin hoch bleiben werde, würden die Analysten der RBI davon ausgehen, dass die Inflation im Dienstleistungssektor eher ansteige, als dass sie bald ihren Höhepunkt erreiche. Aus diesem Grund dürfte sich die Kerninflation nur geringfügig von 5,6% im April auf 5,4% im Jahresvergleich im Mai verlangsamen.

In den USA werde nächste Woche neben dem Arbeitsmarktbericht für den Mai auch die Anzahl der offenen Stellen im April veröffentlicht. Bezüglich ersterer Publikation sei weiterhin insbesondere die Entwicklung des Beschäftigungswachstums von Interesse. Dieses habe sich zuletzt entschleunigt, was hinsichtlich der Inflationsentwicklung positiv zu interpretieren sei, liege aber immer noch signifikant über dem von den zuständigen Autoritäten angepeilten Niveau von 100 Tsd. (April: +253 Tsd. Personen, Konsensschätzung Mai: +180 Tsd. Personen).

Auch das Lohnwachstum sollte sich im Mai mit erwarteten 0,4% p.m. im Vergleich zum April (0,5% p.m.) etwas verlangsamt haben. Die Anzahl der offenen Stellen könne als weitere Maßzahl für den aktuellen Zustand des US-Arbeitsmarktes dienen. Die Quote der offenen Stellen in Relation zur Gesamtstellenanzahl habe zuletzt abgenommen, während sich die Arbeitslosenquote stabil auf einem niedrigen Niveau habe halten können. Auch diese Entwicklung deute auf eine schrittweise Abkühlung des Arbeitsmarktes hin, was dabei helfen sollte, inflationäre Tendenzen weiter einzudämmen.

Zu guter Letzt erscheinen nächste Woche auch noch einige Stimmungsindikatoren. In der Eurozone ist hier auf die Mai-Stimmungsindikatoren der Europäischen Kommission (ESI) zu verweisen, so die Analysten der RBI. Diese sollten, unseren Modellen zufolge, den jüngst beobachteten Trend eines schwachen Industriesektors und eines resilienten Dienstleistungssektors erneut bestätigen, so die Analysten der RBI. So würden die Analysten der RBI hinsichtlich des Dienstleistungsvertrauens nur eine leichte Abschwächung von 10,5 auf 10,3 Punkte, bezüglich des Industrievertrauens aber eine wesentlich deutlichere Abschwächung von -2,6 auf -4 Punkte erwarten. Beim Wirtschaftsvertrauen würden die Analysten der RBI einen Abschwung von 99,3 auf 98,1 Punkte für realistisch halten.

In den USA erscheine indessen der Mai-ISM für das Verarbeitende Gewerbe (die Kennzahl für das Nicht-Verarbeitende Gewerbe werde erst in der Folgewoche erscheinen). Konsensschätzungen würden die Analysten der RBI einen marginalen Rückgang von 47,1 Punkten auf 47 Punkte erwarten. Auch hier werde die Frage im Raum stehen, ob sich Industrie- und Servicesektor entgegengesetzt entwickeln würden, oder ob sich ein anderes Muster herauskristallisiere.

An den Zinsmärkten seien Benchmark-Renditen gestiegen. In den vergangenen zwei Wochen hätten Renditen 10-jähriger Bunds um etwa 30 Basispunkte, US-Treasury-Renditen um etwa 45 Basispunkte zugelegt. Während die Renditen über die gesamte Kurve hinweg angestiegen seien, sei die Aufwärtsdynamik am kurzen Ende der Kurve ausgeprägter gewesen. Infolgedessen habe sich das Ausmaß der Inversion der Renditekurve verstärkt. Die Rendite 2-jähriger Bunds handle nahe 2,9%, jene 10-jähriger Bunds nahe 2,5%.

Die Analysten der RBI sähen die jüngste Aufwärtsdynamik an den Zinsmärkten vor dem Hintergrund, wiederentdeckter Inflationsrisiken. Da Sorgen um Finanzstabilität zunehmend schwinden würden und sich die Dienstleistungssektoren nach wie vor einer soliden Nachfrage erfreuen würden (siehe PMIs), könnte die Wahrnehmung des Risikos persistenter Kerninflation aufgrund der Dienstleistungspreise gestiegen sein. Einerseits seien die am Markt gepreisten Inflationserwartungen gestiegen, wobei die langfristigen Inflationsaussichten für den Euroraum (5JF5J ILS), die nun über 2,5% lägen, besorgniserregend seien. Andererseits seien die Renditen hauptsächlich durch ihre inflationsbereinigte (reale) Komponente getrieben worden, die in der Regel mit Erwartungen gegenüber den Zentralbanken zusammenhänge.

Die Erwartungen an die EZB und die FED seien in der Tat hawkisher geworden. Vor allem die Wetten auf Zinssenkungen der FED im Jahresverlauf 2023 hätten in letzter Zeit viel Gegenwind erfahren. Der stärkere Renditeanstieg bei Treasuries im Vergleich zu Bunds sei auf die realen Renditen zurückzuführen und da die reale Renditedifferenz ein wichtiger Faktor für EUR/USD sei, habe der US-Dollar in diesem Umfeld aufgewertet. Die jüngste Umorientierung des Marktes hin zu Risiken einer hartnäckigeren Kerninflation habe die Markterwartungen gegenüber der EZB/FED mehr in Einklang gebracht mit den RBI-Prognosen. Infolgedessen hätten die Renditen von Bunds und Treasuries inzwischen die RBI-Prognosen für die Jahresmitte erreicht. Die Analysten der RBI würden zu Jahresende niedrigere Renditen erwarten, weshalb sie ihre kurzfristige Empfehlung von "Halten" auf "Kauf" ändern würden.

Was Zentralbanken betreffe, so sei darauf hinzuweisen, dass in der nächsten Woche das Protokoll zur jüngsten EZB-Zinssitzung veröffentlicht werde, das nicht nur hinsichtlich der Signale für die künftige Zinsentwicklung interessant sein werde, sondern auch hinsichtlich der Gründe des EZB-Rats für die frühzeitige Ankündigung des Stopps der APP-Reinvestitionen.

Die FED habe diese Woche bereits ihr Protokoll veröffentlicht. Der Offenmarktausschuss der FED habe festgestellt, dass eine zusätzliche Straffung durch höhere Leitzinsen weniger sicher geworden sei, dass es jedoch wichtig sei, sich Optionen offenzuhalten, und dass die Unsicherheit darüber, inwieweit eine weitere Straffung der Politik angemessen sein könnte, groß sei. Mehrere Teilnehmer hätten jedoch angemerkt, dass eine weitere Straffung der Geldpolitik nach dieser Sitzung möglicherweise nicht erforderlich sei, wenn sich die Wirtschaft so entwickle, wie sie es derzeit prognostizieren würden.

Vor diesem Hintergrund würden die Analysten der RBI bei ihrer Einschätzung bleiben, dass der Zinszyklus der FED abgeschlossen sei, wobei sie anerkennen würden, dass eine Zinserhöhung auf der nächsten Sitzung im Juni nicht völlig ausgeschlossen werden könne und sollte. (26.05.2023/alc/a/a)