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Ende der Fahnenstange


10.11.23 12:53
Raiffeisen Capital Management

Wien (www.anleihencheck.de) - Die Erwartungen für die US-Wirtschaft waren zu Jahresbeginn noch sehr verhalten, so Karin Kunrath, Chief Investment Officer der Raiffeisen KAG.

Für das Jahr 2023 sei von Ökonomen ein reales Wirtschaftswachstum von nur knapp über Null prognostiziert worden. In den folgenden Monaten hätten die US-Wirtschaftsdaten kontinuierlich die Schätzungen übertroffen, was zu fortgesetzten Aufwärtsrevisionen der Wachstumserwartungen geführt habe. Es dürften jetzt doch mehr als 2% Plus werden. Diese Entwicklung sei am Aktienmarkt zunächst wohlwollend aufgenommen worden, bedeute eine stärkere Wirtschaft in aller Regel auch höhere Unternehmensgewinne. In der Spitze habe der US-Aktienmarkt mit über 20% im Plus gelegen. Der Anstieg sei allerdings von wenigen großen Aktien getragen worden. Im Sommer habe sich das Blatt gewendet, der Markt sei in eine Korrekturphase eingetreten.

Der Index habe in der Folge rund die Hälfte der zuvor aufgelaufenen Gewinne verloren und die durchschnittliche Aktie habe per Ende Oktober sogar im Minus gelegen. Und das, obwohl auch in diesem Zeitraum größtenteils starke US-Wirtschaftsdaten veröffentlicht worden seien. In dieser Phase habe die Phrase "Higher for longer" in der Marktdiskussion Einzug gehalten. Gemeint sei die Erwartung, dass die Zinsen für längere Zeit hoch bleiben würden. Dies sei nicht nur diskutiert worden, sondern auch gepreist.

Der nächste Zinssenkungszyklus solle demnach bereits bei einem Leitzins von 4% enden, was im historischen Kontext äußerst ungewöhnlich wäre. Für die Wirtschaftsaussichten und damit auch für den Aktienmarkt bedeute das natürlich nichts Gutes, daher die Kursverluste. Umso erleichterter seien die Anleger nach den jüngsten Notenbanktreffen gewesen, aus denen zu schließen sei, dass viele Währungshüter auf weitere Zinsanhebungen verzichten würden.

Der Erleichterung könnte jedoch bald Ernüchterung folgen, nämlich dann, wenn die Zinsanhebungen der letzten Monate ihre volle Wirkung auf die Konjunktur entfalten würden und auch wieder enttäuschende Wirtschaftsdaten veröffentlicht würden. Aufgrund dessen werde die Untergewichtung in Aktien beibehalten. Für Anleihen sei das Ende der Fahnenstange für Zinsanhebungen hingegen positiv zu interpretieren. Die Gewichtung in Euro-Staatsanleihen werde daher angehoben und damit das Zinsrisiko in den Mischfonds erhöht.

Das Renditeniveau von 5% p.a. bei zehnjährigen US-Staatsanleihen sowie die Erwartung des vorlaufenden Endes des Zinsanhebungszyklus in den USA hätten ab Ende Oktober zu fallenden Renditen geführt, nachdem sie im Vormonat kräftig angestiegen seien. Die Experten würden die aktuellen Renditen von Euro-Staatsanleihen als attraktiv erachten, weshalb sie diese bei ihrer Gewichtung präferieren würden. US-Staatsanleihen würden sie allerdings weiterhin gegenüber deutschen Staatsanleihen bevorzugen.

Die Spreads von EUR Unternehmensanleihen hätten sich im Oktober moderat ausgeweitet, nachdem sich die Konjunkturlage in der Eurozone weiterhin schlecht präsentiert habe. Zudem dürften einige geopolitische Event-Risiken (Israel/Gaza) zu höheren Risikoprämien geführt haben. Nach Meinung der Experten diskontiere der Markt die fundamentale Schwäche de facto kaum. Sie würden daher bei EUR-Unternehmensanleihen im Rahmen ihrer Asset Allocation vorsichtig bleiben.

Emerging-Marktets-Hartwährungsanleihen hätten sich von den marktweiten Spread-Ausweitungen zuletzt nicht abkapseln können. Man beobachte aber v.a. aus China schwache Konjunkturdaten. Besonders das Verpuffen der dortigen Stimulus-Maßnahmen bleibe ein Risikofaktor. In Summe würden die Experten kein Abkoppeln der Emerging-Marktes-Anleihe-Spreads von den Risikoprämien in den entwickelten Märkten erwarten, wo sie derzeit eher mit einem Anstieg derselben rechnen würden.

Die internationalen Aktienmärkte hätten sich in den letzten Wochen deutlich schwächer präsentiert. Während die Aktienmärkte im aktuellen Jahr von den steigenden Zinsen lange Zeit relativ unbeeindruckt gewesen seien, habe sich dieses Bild zuletzt etwas gedreht. Auch wenn die Märkte kurzfristig etwas überverkauft erscheinen würden, würden die Experten erwarten, dass das restriktivere Zinsumfeld in den nächsten Monaten auf den Aktienmärkten lasten werde. Sie würden bei Aktien moderat vorsichtig bleiben.

Da der Immobiliensektor mittlerweile die Entwicklung in China derart stark belaste, habe man sich dazu durchgerungen, Stimulusmaßnahmen zu ergreifen. Dies solle einen weiteren Absturz der Volkswirtschaft verhindern, sei aber ein gefährlicher Balanceakt, da die chinesische Wirtschaft stark unter der sehr hohen Verschuldung leide. Generell sei zu befürchten, dass die prekärer werdende Liquiditätssituation, ausgelöst durch globale Notenbanken, auch die US-Dollar-Finanzierung in Emerging Markets deutlich erschweren werde. Darauf müsse man in den nächsten Wochen ein achtsames Auge werfen.

In den letzten Wochen habe sich vor allem der Edelmetallbereich schwächer präsentiert, und der Energiebereich bis Ende September sehr fest. Die erneuten deutlichen Renditeanstiege und ein gleichzeitig sehr fester US-Dollar hätten auf der Stimmung im Edelmetallbereich gelastet. (10.11.2023/alc/a/a)