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EZB wählt "dovish hike" - Zinsgipfel erreicht, keine schnelle Senkung


14.09.23 16:45
Nord LB

Hannover (www.anleihencheck.de) - Die Europäische Zentralbank hat auf ihrer heutigen Sitzung ihre Leitzinsen erneut um jeweils 25 Basispunkte angehoben, so die Analysten der Nord LB.

Der relevante Einlagesatz steige damit auf einen Rekordwert von 4,00%, der Hauptrefinanzierungssatz auf 4,50%. Eine Anpassung im Statement mache die heutige Entscheidung jedoch zu einem "dovish hike". Die Leitzinsen dürften nun ein Niveau erreicht haben, "das - wenn es lange genug aufrechterhalten wird - einen erheblichen Beitrag zu einer zeitnahen Rückkehr der Inflation auf den Zielwert leisten wird."

Die heutige EZB-Entscheidung sei sicher eine der spannendsten der vergangenen Jahre gewesen. Zinsanhebung oder Zinspause? Sowohl Märkte als auch Volkswirte seien sich so unsicher gewesen wie selten zuvor. Hintergrund sei die in den vergangenen Wochen verzeichnete überraschend deutliche Eintrübung des konjunkturellen Umfelds gewesen, während allerdings zumindest bis zum August die Inflationsdaten recht hartnäckig geblieben seien. Immerhin scheine allmählich aber auch die Kernrate zu sinken.

Mit der Entscheidung, die Leitzinsen im September nochmals um 25 Basispunkte anzuheben, hätten sich die Falken im Rat durchgesetzt. Allerdings zu einem hohen Preis, wie nicht anders zu erwarten gewesen sei. Auf Basis der neuen Guidance spreche viel dafür, dass bei Ausbleiben starker Überraschungen die EZB-Leitzinsen nun ihren zyklischen Hochpunkt erreicht hätten. Der Rat werde sich nun darauf konzentrieren, die Erwartungen dahin zu kanalisieren, dass dieses Zinsniveau lange Bestand haben werde und Zinssenkungsphantasien nicht zu früh aufkommen zu lassen.

An den Finanzmärkten sei es für den Euro und die Renditen langlaufender Staatsanleihen abwärts gegangen! Der Euro sei unter die Marke von 1,07 USD gerutscht, die Rendite deutscher Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit sei zeitweise in Richtung 2,55% gesunken. Dies erscheine nur auf den ersten Blick widersinnig. Vielmehr sei genau hiermit zu rechnen gewesen, würden doch die Märkte nun die Möglichkeit weiterer Zinsanhebungen vollständig auspreisen. Angesichts der Marktreaktionen müssten sich die Falken die Frage gefallen lassen, ob nicht eine "hawkishe Zinspause" mit tightening bias besser gewesen wäre als ein "dovisher hike".

Es spreche viel für eine Art Torschlusspanik bei den Falken. Offenbar hätten einige befürchtet, dass man Ende Oktober die Zinsen nicht nochmals hätte anheben können. In der Tat schließe sich das Tor für Zinsanhebungen nun zügig. Die neue Konjunkturprognose der EZB sei für 2023 mit +0,7% noch immer zu optimistisch, und im September werde die Inflationsrate nach unten fallen. So hätten die Falken im Rat den sprichwörtlichen Spatz in der Hand der Taube auf dem Dach vorgezogen. Viel mehr als ein Artefakt - höchster Einlagesatz aller Zeiten - habe man angesichts der Marktreaktionen damit aber nicht gewonnen.

Nach Lagardes Aussage sei der heutige Beschluss von einer "soliden Mehrheit" unterstützt worden. Sei der Kurs der EZB bis zur heutigen Sitzung von einem breiten Konsens getragen worden, zeige der heutige teure Kompromiss doch unübersehbar zunehmende Meinungsverschiedenheiten. Die Analysten der Nord LB rechnen mit keiner weiteren Zinssteigerung, und auch ein Antasten der bisherigen PEPP-Reinvestment-Politik halten sie für unwahrscheinlich. Bei den Kapitalmarktzinsen sei daher die Luft für weitere Anstiege dünn geworden.

Die EZB erhöhe das zehnte Mal in Folge ihre Leitzinsen und schraube den Einlagesatz auf ein Rekordniveau von 4,00%. Damit hätten sich die Falken in der Frage Zinspause oder Zinserhöhung durchgesetzt, allerdings auf Kosten einer starken Vorfestlegung, dass der Zinsgipfel voraussichtlich erreicht sein dürfte. Ob dieser "dovishe hike" besser dem Erreichen des Inflationsziels diene als eine hawkishe Zinspause, würden die Märkte mit schwächerem Euro und niedrigeren Kapitalmarktzinsen beantworten. Vorerst dürfte die EZB nun geradeaus fahren. Und auch, wenn es die EZB noch so lang wie möglich hinauszögern möchte, von nun an werde allenthalben über den Zeitpunkt des nächsten Zinsschritts spekuliert werden - und dieser Zinsschritt werde aller Voraussicht nach eine Zinssenkung sein. Vor Mitte 2024 sei damit aber nicht zu rechnen. (14.09.2023/alc/a/a)