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EZB biegt bei Zinsstraffung auf Zielgerade ein
02.05.23 10:30
Nord LB
Hannover (www.anleihencheck.de) - Seit Juli des letzten Jahres hat die EZB im Konzert mit vielen anderen Notenbanken weltweit mit deutlichen Leitzinssteigerungen auf den massiven Inflationsdruck reagiert, so die Analysten der Nord LB.
Um insgesamt 350 Basispunkte hätten die Frankfurter Währungshüter die Leitzinsen seither angehoben und zwar in einem bislang nicht gekannten Tempo. Das Ende der Fahnenstange sei im Zinserhöhungszyklus zwar noch nicht ganz erreicht. Nach den zuletzt veröffentlichten Makrodaten erscheine es aber inzwischen als recht sicher, dass die EZB auf ihrer Maisitzung eine Tempoverlangsamung beschließen werde. Hierauf würden auch die jüngsten Äußerungen von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane und François Villeroy de Galhau im Interview mit Le Figaro deuten. Demnach könnten weitere wenige weitere Zinsschritte noch notwendig sein, Anzahl und Ausmaß sollten laut Villeroy aber begrenzt sein. Der Sicht von Villeroy komme eine hohe Bedeutung zu, habe er doch in der Vergangenheit häufig die Mehrheits- bzw. Kompromisslinie im EZB-Rat besetzt.
Natürlich gebe es auch Stimmen aus dem Falkenlager, die sich noch einen weiteren Zinsschritt in Höhe von 50 Basispunkten vorstellen könnten. Zudem würden natürlich alle Geldpolitiker betonen, dass die weiteren Entscheidungen von den hereinkommenden Daten abhängen würden. Bis zur Maisitzung gebe es jedoch kaum noch Möglichkeiten für derart große Überraschungen, durch die das Pendel doch noch zu einem Zinsschritt von 50 Basispunkten ausschlagen könnte.
Bei der Einschätzung des weiteren geldpolitischen Kurses müsse zunächst berücksichtigt werden, dass die bisherigen Zinserhöhungen zwar bereits wirken würden, aber aufgrund üblicher Wirkungsverzögerungen (time lags) noch nicht voll in der Realwirtschaft angekommen seien. Aber an welchen Entscheidungsparametern würden die EZB-Ratsmitglieder ihre Entscheidungen in den nächsten Monaten orientieren? Hier ergebe sich ein Dreiklang, bestehend aus:
- Einschätzung der Inflationsaussichten auf Basis der Wirtschafts- und Finanzdaten,
- Beurteilung der zugrunde liegenden Inflation und
- Stärke der geldpolitischen Transmission.
Die EZB werde also zunächst auf Basis der jüngsten Wirtschaftsdaten prüfen, ob das im März aktualisierte Basisszenario weiterhin grundsätzlich gültig sei. Hierfür spreche viel nach den Datenveröffentlichungen Ende April. So passe die sich abzeichnende leichte Konjunkturerholung zu dem Grundszenario in den EZB-Projektionen. Bei der HVPI-Inflationsrate würden die vorliegenden Daten aus den Mitgliedsländern mehr oder weniger auf eine Seitwärtstendenz im April hindeuten. Für einen weiteren Rückgang spreche die Entspannung bei Inputkosten, zumindest für Nahrungsmittel und Güter. Bei Dienstleistungen sei dieser Trend nicht so eindeutig, die weitere Entwicklung hänge sehr stark von den zukünftigen Lohnabschlüssen ab. Nach mehreren Jahren Reallohnverlust seien die bisherigen Lohnabschlüsse eher als Aufholeffekt zu sehen, wodurch der Normalisierungsprozess zwar verlängert werde. Eine Entankerung der Inflationserwartungen sei aber nicht erkennbar.
Anzeichen für eine so genannte "Gierflation" sehen die Analysten der Nord LB nicht. Wenn Unternehmen in Erwartung stärkerer Inputkostensteigerungen vorausschauend ihre Absatzpreise angepasst hätten, würden sich bei positiver Überraschung wie dem jüngsten Rückgang der Energiepreise höhere Gewinnmargen ergeben. Zudem dürften die abnehmenden Lieferengpässe zu einer Normalisierung in den Bereichen führen, wo das Angebot pandemiebedingt längere Zeit künstlich beschränkt gewesen sei. Problematisch würde es erst, wenn hohe Margen, starker Inflationsdruck und Lohnentwicklung sich wechselseitig befeuern würden. Die Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation sei derzeit wahrscheinlich das größte Sorgenkind der Währungshüter. Allerdings dürfte der Hochpunkt der Kerninflation im März mit 5,7% Y/Y erreicht worden sein. Die abnehmenden Lieferengpässe und sinkenden Energiepreise würden zeitverzögert auch die Kernrate dämpfen. Die Teuerung bei den Dienstleistungen sei in Deutschland immerhin im April bereits wieder ganz leicht gesunken.
Die Stärke der geldpolitischen Transmission habe vor dem Hintergrund der Marktverspannungen im März eine besondere Bedeutung erlangt. In der Tat sei es möglich, dass es durch Marktentwicklungen zu einer zusätzlichen Straffung der Finanzierungsbedingungen komme. Dann wäre ein geringeres Ausmaß der geldpolitischen Straffung notwendig, um die Inflation in den Zielbereich zurückzubringen. Vor diesem Hintergrund würden in der ersten Maiwoche die Ergebnisse des neuen Bank Lending Survey der EZB in den Fokus rücken.
Allerdings dürfte es schwer zu trennen sein, ob Veränderungen tatsächlich Folge der jüngsten Marktverspannungen oder aber Teil der "normalen" und gewünschten Transmission der Zinserhöhungen seien. Bereits die Umfrage vor drei Monaten habe deutliche Effekte des Zinsanstiegs auf Kreditnachfrage und -bedingungen gezeigt. In den vergangenen Monaten seien denn auch Bankkredite an Unternehmen und Haushalte teurer geworden. Sowohl die geringere Nachfrage als auch die Straffung der Kreditbedingungen hätten das Kreditwachstum entsprechend deutlich gebremst. Dies sei einher mit einer markanten Abschwächung des Geldmengenwachstums gegangen, und dieser Trend dürfte sich auch noch fortsetzen. Bezüglich der Transmission sei aber vor allem positiv festzuhalten, dass es bislang keine Anzeichen für eine Fragmentierung gebe. Ein Innehalten der EZB halten die Analysten der Nord LB daher für ähnlich unwahrscheinlich wie einen 50bp-Zinsschritt.
Die EZB stehe in diesem Jahr vor einer Reihe wichtiger Entscheidungen. Kurzfristig stünden im Mai und Juni intensive Diskussionen über den Zinspfad an, hieraus sollte aber nicht ein grundsätzlicher Konflikt konstruiert werden. Die nächsten Zinsentscheidungen seien mehr eine Frage des "Feintunings" auf den letzten Metern des Zinserhöhungszyklus. Die Analysten würden aktuell noch mit drei kleinen Zinsschritten rechnen, wobei das Lager der Falken eventuell auf den dritten Schritt im Gegenzug für ein früheres Ende von APP-Reinvestitionen verzichten könnte. Der restriktive Kurs hingegen werde sicher einige Zeit beibehalten, eine erste Zinssenkung dürfte erst in gut einem Jahr auf die Agenda rücken. Aber auch nach dem Ende der Zinsstraffung stünden weitreichende Entscheidungen mit Implikationen für Liquiditätsversorgung und/oder Marktzinshöhe an. Hierzu würden z.B. der langfristige Umgang mit dem hohen Anleihebestand (Stichwort: PEPP-Reinvestitionen), die Ausgestaltung eines digitalen Euro und die Frage gehören, ob die EZB bei den Leitzinsen zu einem Korridorsystem zurückkehren sollte. Es bleibe also spannend! (Ausgabe Mai 2023) (02.05.2023/alc/a/a)
Um insgesamt 350 Basispunkte hätten die Frankfurter Währungshüter die Leitzinsen seither angehoben und zwar in einem bislang nicht gekannten Tempo. Das Ende der Fahnenstange sei im Zinserhöhungszyklus zwar noch nicht ganz erreicht. Nach den zuletzt veröffentlichten Makrodaten erscheine es aber inzwischen als recht sicher, dass die EZB auf ihrer Maisitzung eine Tempoverlangsamung beschließen werde. Hierauf würden auch die jüngsten Äußerungen von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane und François Villeroy de Galhau im Interview mit Le Figaro deuten. Demnach könnten weitere wenige weitere Zinsschritte noch notwendig sein, Anzahl und Ausmaß sollten laut Villeroy aber begrenzt sein. Der Sicht von Villeroy komme eine hohe Bedeutung zu, habe er doch in der Vergangenheit häufig die Mehrheits- bzw. Kompromisslinie im EZB-Rat besetzt.
Natürlich gebe es auch Stimmen aus dem Falkenlager, die sich noch einen weiteren Zinsschritt in Höhe von 50 Basispunkten vorstellen könnten. Zudem würden natürlich alle Geldpolitiker betonen, dass die weiteren Entscheidungen von den hereinkommenden Daten abhängen würden. Bis zur Maisitzung gebe es jedoch kaum noch Möglichkeiten für derart große Überraschungen, durch die das Pendel doch noch zu einem Zinsschritt von 50 Basispunkten ausschlagen könnte.
Bei der Einschätzung des weiteren geldpolitischen Kurses müsse zunächst berücksichtigt werden, dass die bisherigen Zinserhöhungen zwar bereits wirken würden, aber aufgrund üblicher Wirkungsverzögerungen (time lags) noch nicht voll in der Realwirtschaft angekommen seien. Aber an welchen Entscheidungsparametern würden die EZB-Ratsmitglieder ihre Entscheidungen in den nächsten Monaten orientieren? Hier ergebe sich ein Dreiklang, bestehend aus:
- Beurteilung der zugrunde liegenden Inflation und
- Stärke der geldpolitischen Transmission.
Die EZB werde also zunächst auf Basis der jüngsten Wirtschaftsdaten prüfen, ob das im März aktualisierte Basisszenario weiterhin grundsätzlich gültig sei. Hierfür spreche viel nach den Datenveröffentlichungen Ende April. So passe die sich abzeichnende leichte Konjunkturerholung zu dem Grundszenario in den EZB-Projektionen. Bei der HVPI-Inflationsrate würden die vorliegenden Daten aus den Mitgliedsländern mehr oder weniger auf eine Seitwärtstendenz im April hindeuten. Für einen weiteren Rückgang spreche die Entspannung bei Inputkosten, zumindest für Nahrungsmittel und Güter. Bei Dienstleistungen sei dieser Trend nicht so eindeutig, die weitere Entwicklung hänge sehr stark von den zukünftigen Lohnabschlüssen ab. Nach mehreren Jahren Reallohnverlust seien die bisherigen Lohnabschlüsse eher als Aufholeffekt zu sehen, wodurch der Normalisierungsprozess zwar verlängert werde. Eine Entankerung der Inflationserwartungen sei aber nicht erkennbar.
Anzeichen für eine so genannte "Gierflation" sehen die Analysten der Nord LB nicht. Wenn Unternehmen in Erwartung stärkerer Inputkostensteigerungen vorausschauend ihre Absatzpreise angepasst hätten, würden sich bei positiver Überraschung wie dem jüngsten Rückgang der Energiepreise höhere Gewinnmargen ergeben. Zudem dürften die abnehmenden Lieferengpässe zu einer Normalisierung in den Bereichen führen, wo das Angebot pandemiebedingt längere Zeit künstlich beschränkt gewesen sei. Problematisch würde es erst, wenn hohe Margen, starker Inflationsdruck und Lohnentwicklung sich wechselseitig befeuern würden. Die Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation sei derzeit wahrscheinlich das größte Sorgenkind der Währungshüter. Allerdings dürfte der Hochpunkt der Kerninflation im März mit 5,7% Y/Y erreicht worden sein. Die abnehmenden Lieferengpässe und sinkenden Energiepreise würden zeitverzögert auch die Kernrate dämpfen. Die Teuerung bei den Dienstleistungen sei in Deutschland immerhin im April bereits wieder ganz leicht gesunken.
Die Stärke der geldpolitischen Transmission habe vor dem Hintergrund der Marktverspannungen im März eine besondere Bedeutung erlangt. In der Tat sei es möglich, dass es durch Marktentwicklungen zu einer zusätzlichen Straffung der Finanzierungsbedingungen komme. Dann wäre ein geringeres Ausmaß der geldpolitischen Straffung notwendig, um die Inflation in den Zielbereich zurückzubringen. Vor diesem Hintergrund würden in der ersten Maiwoche die Ergebnisse des neuen Bank Lending Survey der EZB in den Fokus rücken.
Allerdings dürfte es schwer zu trennen sein, ob Veränderungen tatsächlich Folge der jüngsten Marktverspannungen oder aber Teil der "normalen" und gewünschten Transmission der Zinserhöhungen seien. Bereits die Umfrage vor drei Monaten habe deutliche Effekte des Zinsanstiegs auf Kreditnachfrage und -bedingungen gezeigt. In den vergangenen Monaten seien denn auch Bankkredite an Unternehmen und Haushalte teurer geworden. Sowohl die geringere Nachfrage als auch die Straffung der Kreditbedingungen hätten das Kreditwachstum entsprechend deutlich gebremst. Dies sei einher mit einer markanten Abschwächung des Geldmengenwachstums gegangen, und dieser Trend dürfte sich auch noch fortsetzen. Bezüglich der Transmission sei aber vor allem positiv festzuhalten, dass es bislang keine Anzeichen für eine Fragmentierung gebe. Ein Innehalten der EZB halten die Analysten der Nord LB daher für ähnlich unwahrscheinlich wie einen 50bp-Zinsschritt.
Die EZB stehe in diesem Jahr vor einer Reihe wichtiger Entscheidungen. Kurzfristig stünden im Mai und Juni intensive Diskussionen über den Zinspfad an, hieraus sollte aber nicht ein grundsätzlicher Konflikt konstruiert werden. Die nächsten Zinsentscheidungen seien mehr eine Frage des "Feintunings" auf den letzten Metern des Zinserhöhungszyklus. Die Analysten würden aktuell noch mit drei kleinen Zinsschritten rechnen, wobei das Lager der Falken eventuell auf den dritten Schritt im Gegenzug für ein früheres Ende von APP-Reinvestitionen verzichten könnte. Der restriktive Kurs hingegen werde sicher einige Zeit beibehalten, eine erste Zinssenkung dürfte erst in gut einem Jahr auf die Agenda rücken. Aber auch nach dem Ende der Zinsstraffung stünden weitreichende Entscheidungen mit Implikationen für Liquiditätsversorgung und/oder Marktzinshöhe an. Hierzu würden z.B. der langfristige Umgang mit dem hohen Anleihebestand (Stichwort: PEPP-Reinvestitionen), die Ausgestaltung eines digitalen Euro und die Frage gehören, ob die EZB bei den Leitzinsen zu einem Korridorsystem zurückkehren sollte. Es bleibe also spannend! (Ausgabe Mai 2023) (02.05.2023/alc/a/a)