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EZB: Zinsschritt hätte mehr Nachteile als Vorteile


08.09.23 16:58
Helaba

Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Die Ausgangslage vor der EZB-Ratssitzung ist zwar offen, wie Mitglieder betonen, so die Analysten der Helaba.

Dennoch überwiege die Wahrscheinlichkeit, dass die EZB auf einen weiteren Zinsschritt verzichte.

Die jüngsten Äußerungen von EZB-Ratsmitgliedern würden unter dem Strich kaum von der Marschroute abweichen, die EZB-Präsidentin Lagarde nach der letzten Sitzung vorgegeben habe. Alles sei offen und hänge letztlich von der Bewertung der Datenlage ab. Hier würden sich zwei Tendenzen abzeichnen: Erstens sei das Wirtschaftswachstum in der Eurozone anhaltend schwach. Zweitens habe sich der Inflationsrückgang zuletzt als zäher Prozess erwiesen. Dass die Teuerung im Euroraum im August bei 5,3% verharrt habe, sei eine kleine Enttäuschung gewesen.

Warum dürfte der EZB-Rat dennoch eine geldpolitische Pause einlegen? Die nächsten Inflationsdaten dürfte der Abwärtstrend wieder deutlich sichtbar machen. Zudem sollte die wichtige Euro-Kernrate, die zuletzt von 5,5% auf 5,3% gefallen sei, ihren Höchststand erreicht haben. Bei den Vorleistungsgütern habe sich der Rückgang zuletzt fort. Die Erzeugerpreise im Euroraum hätten im Juli bei -7,6% gegenüber dem Vorjahr gelegen.

Seit die EZB mit Zinsanhebungen begonnen habe, stagniere das Wirtschaftswachstum in der Eurozone. Dies sei jedoch weniger auf die Geldpolitik als auf den Inflationsschock mit Raten von über 10% zurückzuführen gewesen. Nun aber würden die höheren Zinsen dominieren und es sei schwer abzuschätzen, welche dämpfende Wirkung sie noch haben würden. Natürlich könne man mit Blick auf Amerika den Eindruck gewinnen, dass die Wirtschaft den Zinseffekt relativ gut verkrafte. Allerdings betreibe die US-Regierung eine sehr expansive Fiskalpolitik, die einiges kompensiere.

Die EZB müsse auch die Auswirkungen ihrer Maßnahmen auf das politische Umfeld bewerten. Sollten sich die Wachstumsaussichten weiter eintrüben, könnten die Regierungen im Euroraum Stützungsmaßnahmen beschließen, die möglicherweise die Staatsverschuldung und die langfristigen Inflationserwartungen anheben. Ein konjunkturelles Tauziehen zwischen der EZB und einigen europäischen Regierungen wäre in dieser Situation kontraproduktiv. Daher sollte die EZB, so begrüßenswert ihr Kampf gegen die Inflation auch sei, die Konjunktursorgen vorerst nicht verstärken.

Nicht nur die Unternehmensumfragen, sondern auch die Konsumentenpanels würden eine veränderte Ausgangslage gegenüber dem Vorjahr signalisieren. So hätten sich die Relationen zwischen Inflations- und Konjunkturerwartungen der Privaten Verbraucher zuletzt in Richtung Konjunktursorgen verschoben. In der Vergangenheit habe die EZB in einer solchen Konstellation noch nie die Leitzinsen angehoben.

Inwieweit die neuen Projektionen der EZB diese Entwicklungen berücksichtigen würden, bleibe abzuwarten. Deutliche Anpassungen der Inflationsprognosen seien nicht wahrscheinlich. Der EZB-Rat werde daher, auch wenn er die Leitzinsen nicht anhebe, betonen, dass eine Fortsetzung des Straffungskurses auf den nächsten beiden Sitzungen im Oktober und Dezember erfolgen könne. Sollten die Inflationszahlen bis dahin enttäuschen, wovon die Analysten der Helaba allerdings nicht ausgehen würden, könnte die EZB noch einmal an der Zinsschraube drehen. (08.09.2023/alc/a/a)