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EZB: Ist es an der Zeit für eine Zinspause?


12.09.23 09:44
Vontobel Asset Management

Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Die anstehenden September-Sitzungen bieten den wichtigsten Zentralbanken eine gute Gelegenheit, um nach der Sommerpause ihren aktuellen Ausblick zu geben, so Dillon Lancaster, Portfoliomanager, TwentyFour Asset Management.

Von der US-Notenbank FED erwarte er, dass sie die Leitzinsen unverändert halte und auch ihre Rhetorik versöhnlicher ausfalle. Die Bank of England (BoE) dürfte dagegen die Zinssätze um 25 Basispunkte erhöhen und zudem auf die Möglichkeit einer weiteren Anhebung hinweisen. Mit besonderer Spannung erwarte Lancaster aber das Treffen der Europäischen Zentralbank (EZB) an diesem Donnerstag: Denn die EZB-Entscheidung scheine noch lange nicht beschlossene Sache zu sein.

Inflationserwartungen hoch, Wachstumserwartungen runter

Sowohl die Gesamtinflation als auch die Kerninflation in der Eurozone lägen bei 5,3 Prozent im Jahresvergleich. In Deutschland, der größten Volkswirtschaft der Eurozone, liege die Teuerung (HVPI) mit 6,4 Prozent sogar noch höher. Auch das Lohnwachstum sei nach wie vor stark - das deute darauf hin, dass eine weitere Zinserhöhung notwendig sein könnte. Andererseits seien die jüngsten Einkaufsmanagerindices (PMI) im Euroraum sowohl im Dienstleistungssektor als auch im verarbeitenden Gewerbe mit 47,9 respektive 43,5 Punkten schwach gewesen. Ein Wert unter 50 bedeute, dass die Befragten ihren Sektor in einer Schrumpfung sehen würden, daher gelte ein PMI unter 50 Punkten als guter Indikator für eine potenzielle Rezession. Einmal mehr habe sich die deutsche Wirtschaft mit einem PMI von 39,1 für das wichtige verarbeitende Gewerbe besonders fragil gezeigt. Das Dilemma der EZB-Ratsmitglieder würden die aktualisierten Prognosen der EU-Kommission für die Eurozone für 2024 zeigen: Während die Inflationsvorhersage von 2,8 Prozent auf 2,9 Prozent gestiegen sei, seien die Wachstumsaussichten von 1,6 Prozent auf 1,3 Prozent gesunken.

Meinungsdifferenzen zwischen den EZB-Ratsmitgliedern

Die herausfordernde Datenlage habe zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den EZB-Ratsmitgliedern geführt, die offenbar deutlich ausgeprägter seien als etwa die Differenzen innerhalb der FED und der Bank of England. So hätten die EZB-Ratsmitglieder Peter Kazimir und Pierre Wunsch erklärt, dass die EZB im September "einen weiteren Schritt" machen sollte oder vielmehr noch "ein bisschen mehr" zu tun habe. Dagegen habe EZB-Ratsmitglied Mario Centeno im gleichen Zeitraum vor der Gefahr gewarnt, "zu viel zu tun", und EZB-Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel habe hervorgehoben, dass das Wachstum schwächer als erwartet sei.

Vor der bevorstehenden Zinsentscheidung scheine ein Konsens also nicht in Sicht zu sein. Nach neun Zinserhöhungen in Folge frage man sich, ob die EZB dem Juni-Beispiel der US-Notenbank folgen könnte: Mit einem "Aussetzen" oder einer "sehr hawkishen Pause" könnte sie den geldpolitischen "Falken" im EZB-Rat und auch den Marktteilnehmer signalisieren, dass sie sich der über dem Zielwert liegenden Inflation durchaus bewusst sei. Fraglich bliebe angesichts der allmählich umschlagenden Konjunkturdaten, ob auf ein Aussetzen im September eine Zinserhöhung im November folge.

Entwicklung der Datenlage werde über nächste Zinsschritte entscheiden

Ob es am Ende ein "Aussetzen", eine "sehr hawkische Pause" oder eine versöhnliche Anhebung um 25 Basispunkte werde, werde nach Ansicht von Lancaster keine großen Auswirkungen auf den Markt haben, mit Ausnahme des sehr kurzfristigen Euro-Geldmarkts. So oder so habe die EZB den größten Teil ihres Jobs erledigt. Interessant würden vielmehr ihre aktualisierten Prognosen sein und ihre signalisierte Bereitschaft, auf künftige Szenarien zu reagieren. Allerdings werde die EZB genau wie wir als Marktbeobachter die weitere Entwicklung der Daten dahingehend beobachten, wie sich die bisherigen Zinserhöhungen auf die Realwirtschaft auswirken würden, um auf dieser Basis über ihre nächsten geldpolitischen Schritte zu entscheiden. (12.09.2023/alc/a/a)