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EZB: Eine Frage der Zielfunktion
01.03.23 09:34
Helaba
Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Die EZB konzentriert sich wieder auf die Inflationsbekämpfung, so die Analysten der Helaba.
Die deutlichen Zinserhöhungen seien auch deshalb notwendig gewesen, weil die Geldpolitik jahrelang auf andere Ziele ausgerichtet gewesen sei. Um fokussiert zu bleiben, müsse sich die EZB vor allem politischer Einflussnahme entziehen. Mit dem Anstieg der Euro-Inflationsrate auf über 10% im vergangenen Jahr habe die EZB ihre Zielmarke von etwa 2% massiv verfehlt. Neben angebotsseitigen Gründen wie der Energiekrise hätten auch länger zurückliegende Fehlentwicklungen zu dieser Preisexplosion beigetragen. Die Geldpolitik habe sich über Jahre hinweg zunehmend an anderen Zielen als der Preisniveaustabilität orientiert.
Die zuvor sehr niedrige Inflation habe der EZB den Spielraum gegeben, die Finanzierungsbedingungen schuldnerfreundlich zu gestalten. Dies sei den Unternehmen ebenso entgegengekommen wie den Euro-Finanzministern. Aktien- und Immobilienmärkte hätten gleichzeitig haussiert. Die Risikoprämien seien in diesem Umfeld spürbar gedrückt worden. Nach den Erfahrungen der Finanz- und Euro-Schuldenkrise sei dies für die EZB vermutlich eine entscheidende Motivation für die extrem lockere Geldpolitik gewesen.
Die Wirtschaft floriere, die Arbeitslosigkeit sei deutlich zurückgegangen. Als die Pandemie diese Erfolge bedroht habe, sei die EZB-Bilanzsumme durch längerfristige Refinanzierungsgeschäfte für Banken sowie Anleihekäufe noch einmal deutlich ausgeweitet worden. Die Leitzinsen seien schon lange im negativen Bereich gewesen.
Übergeordnetes Ziel all dieser Bemühungen sei der Erhalt der Währungsunion gewesen. Problematisch sei gewesen, dass viele Maßnahmen mehr oder weniger im Zielkonflikt mit der Wahrung der Preisstabilität gestanden hätten. Wohl nicht zuletzt deshalb hätten im Laufe der Zeit mehrere deutsche Mitglieder des EZB-Rats frustriert das Handtuch geworfen. Nicht wenige Ökonomen innerhalb und außerhalb der EZB dürften den Deutschen insgeheim eine pathologische Angst vor Inflation unterstellt haben.
Bei Anlegern und Notenbankern habe sich über viele Jahre der Glaube verfestigt, die Inflation sei quasi für immer verschwunden. 1996 sei das Buch "The Death of Inflation" des britischen Ökonomen Roger Bootle erschienen. Für ein Vierteljahrhundert richtungsweisend lasse sich angesichts des dramatischen Inflationsanstiegs im Jahr 2022 auch hier eine Zeitenwende konstatieren. Die unbequeme Konsequenz: Der Spielraum für eine wachstumsfreundliche Geldpolitik dürfte auf lange Zeit stark eingeschränkt sein.
Der massive Inflationsanstieg habe das Vertrauen in die Währungshüter erschüttert. Zu lange habe sich die EZB entspannt zurückgelehnt. Selbst als die Inflation die 2%-Marke erreicht habe und in den USA die Teuerung bereits auf 5% geklettert sei, sei auf angeblich unkritische Einmal- und Basiseffekte verwiesen worden und die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den USA und dem Euroraum betont.
Zwar sei Mitte 2021 das Risiko eines die Staatengemeinschaft erfassenden Krieges und eines damit verbundenen Energiepreisschocks als gering eingeschätzt worden. Die Inflationserwartungen der Investoren und Konsumenten hätten sich jedoch bereits rasch nach oben bewegt. Das Einfrieren des Pandemiekaufprogramms sei relativ spät im März 2022 und die erste Leitzinsanhebung rund vier Monate später erfolgt.
Zwar hätte die EZB den Zug aufgrund der vor allem angebotsseitigen Inflationseffekte nicht stoppen können. Aber der Eindruck, sie habe das unheilvolle Gespann zunächst quasi durchgewunken, dürfte ihrem Ansehen erheblich geschadet haben. Als der Kaufkraftverlust durch zweistellige Inflationsraten im Euroraum für Unternehmen und Verbraucher teilweise existenzbedrohende Ausmaße angenommen habe, habe die EZB eine radikale Kehrtwende vollziehen und die Leitzinsen auf zuletzt 3,0% anheben müssen.
Damit hätten sich die Finanzierungsbedingungen innerhalb kürzester Zeit deutlich verschlechtert. Das Geldmengenwachstum sei eingebrochen. Zinssensitive Branchen wie der Immobilien- und Bausektor würden durch die restriktive Geldpolitik spürbar belastet. Um die Nachfrage zu dämpfen und die Preisüberwälzungsspielräume einzuschränken, werde eine deutliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Kauf genommen. Dies stelle natürlich einen Zielkonflikt dar. Angesichts der Gefahr, dass sich die Inflationserwartungen vom 2%-Ziel abkoppeln würden, müsse die EZB jedoch der Inflationsbekämpfung Priorität einräumen.
Entscheidend für den langfristigen Erfolg werde sein, dass sich die EZB so weit wie möglich der politischen Einflussnahme entziehe. Angesichts begrenzter bzw. abnehmender Ressourcen und des demografischen Wandels sei mit zunehmenden Verteilungskonflikten zu rechnen. Die EZB sei gut beraten, sich hier möglichst herauszuhalten, um ihr Inflationsziel nicht wieder aus den Augen zu verlieren. Die aktuelle Krise gebe ihr in gewisser Weise die Chance dazu.
Eine den Umständen geschuldete klare und unmissverständliche Fokussierung auf die Inflationsbekämpfung helfe nunmehr, politische Begehrlichkeiten und Forderungen nach einer zu lockeren Geldpolitik in Schach zu halten. Mit einem zügigen Abbau ihrer hohen Anleihebestände - sie halte derzeit rund 40% aller umlaufenden Euro-Staatsanleihen - würde die EZB auch ein deutliches Ausrufezeichen in Richtung Politik setzen.
Der ab März beginnende Abbau der Wertpapierbestände um monatlich 15 Mrd. Euro sei eher ein Minimum. Die US-Notenbank reduziere derzeit ihre Anleihebestände um monatlich 95 Mrd. US-Dollar, davon 60 Mrd. Staatsanleihen. Die EZB werde ihren Zinserhöhungskurs fortsetzen. Für Mitte März habe sie bereits einen weiteren Zinsschritt um 50 Basispunkte angekündigt. Möglicherweise werde in den nächsten Monaten sogar noch etwas draufgesattelt. Spätestens in der zweiten Jahreshälfte dürfte sich die Lage an der Zinsfront, auch im Zuge anhaltend rückläufiger Inflation, jedoch beruhigen. (Ausgabe vom 28.02.2023) (01.03.2023/alc/a/a)
Die deutlichen Zinserhöhungen seien auch deshalb notwendig gewesen, weil die Geldpolitik jahrelang auf andere Ziele ausgerichtet gewesen sei. Um fokussiert zu bleiben, müsse sich die EZB vor allem politischer Einflussnahme entziehen. Mit dem Anstieg der Euro-Inflationsrate auf über 10% im vergangenen Jahr habe die EZB ihre Zielmarke von etwa 2% massiv verfehlt. Neben angebotsseitigen Gründen wie der Energiekrise hätten auch länger zurückliegende Fehlentwicklungen zu dieser Preisexplosion beigetragen. Die Geldpolitik habe sich über Jahre hinweg zunehmend an anderen Zielen als der Preisniveaustabilität orientiert.
Die zuvor sehr niedrige Inflation habe der EZB den Spielraum gegeben, die Finanzierungsbedingungen schuldnerfreundlich zu gestalten. Dies sei den Unternehmen ebenso entgegengekommen wie den Euro-Finanzministern. Aktien- und Immobilienmärkte hätten gleichzeitig haussiert. Die Risikoprämien seien in diesem Umfeld spürbar gedrückt worden. Nach den Erfahrungen der Finanz- und Euro-Schuldenkrise sei dies für die EZB vermutlich eine entscheidende Motivation für die extrem lockere Geldpolitik gewesen.
Die Wirtschaft floriere, die Arbeitslosigkeit sei deutlich zurückgegangen. Als die Pandemie diese Erfolge bedroht habe, sei die EZB-Bilanzsumme durch längerfristige Refinanzierungsgeschäfte für Banken sowie Anleihekäufe noch einmal deutlich ausgeweitet worden. Die Leitzinsen seien schon lange im negativen Bereich gewesen.
Übergeordnetes Ziel all dieser Bemühungen sei der Erhalt der Währungsunion gewesen. Problematisch sei gewesen, dass viele Maßnahmen mehr oder weniger im Zielkonflikt mit der Wahrung der Preisstabilität gestanden hätten. Wohl nicht zuletzt deshalb hätten im Laufe der Zeit mehrere deutsche Mitglieder des EZB-Rats frustriert das Handtuch geworfen. Nicht wenige Ökonomen innerhalb und außerhalb der EZB dürften den Deutschen insgeheim eine pathologische Angst vor Inflation unterstellt haben.
Bei Anlegern und Notenbankern habe sich über viele Jahre der Glaube verfestigt, die Inflation sei quasi für immer verschwunden. 1996 sei das Buch "The Death of Inflation" des britischen Ökonomen Roger Bootle erschienen. Für ein Vierteljahrhundert richtungsweisend lasse sich angesichts des dramatischen Inflationsanstiegs im Jahr 2022 auch hier eine Zeitenwende konstatieren. Die unbequeme Konsequenz: Der Spielraum für eine wachstumsfreundliche Geldpolitik dürfte auf lange Zeit stark eingeschränkt sein.
Zwar sei Mitte 2021 das Risiko eines die Staatengemeinschaft erfassenden Krieges und eines damit verbundenen Energiepreisschocks als gering eingeschätzt worden. Die Inflationserwartungen der Investoren und Konsumenten hätten sich jedoch bereits rasch nach oben bewegt. Das Einfrieren des Pandemiekaufprogramms sei relativ spät im März 2022 und die erste Leitzinsanhebung rund vier Monate später erfolgt.
Zwar hätte die EZB den Zug aufgrund der vor allem angebotsseitigen Inflationseffekte nicht stoppen können. Aber der Eindruck, sie habe das unheilvolle Gespann zunächst quasi durchgewunken, dürfte ihrem Ansehen erheblich geschadet haben. Als der Kaufkraftverlust durch zweistellige Inflationsraten im Euroraum für Unternehmen und Verbraucher teilweise existenzbedrohende Ausmaße angenommen habe, habe die EZB eine radikale Kehrtwende vollziehen und die Leitzinsen auf zuletzt 3,0% anheben müssen.
Damit hätten sich die Finanzierungsbedingungen innerhalb kürzester Zeit deutlich verschlechtert. Das Geldmengenwachstum sei eingebrochen. Zinssensitive Branchen wie der Immobilien- und Bausektor würden durch die restriktive Geldpolitik spürbar belastet. Um die Nachfrage zu dämpfen und die Preisüberwälzungsspielräume einzuschränken, werde eine deutliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Kauf genommen. Dies stelle natürlich einen Zielkonflikt dar. Angesichts der Gefahr, dass sich die Inflationserwartungen vom 2%-Ziel abkoppeln würden, müsse die EZB jedoch der Inflationsbekämpfung Priorität einräumen.
Entscheidend für den langfristigen Erfolg werde sein, dass sich die EZB so weit wie möglich der politischen Einflussnahme entziehe. Angesichts begrenzter bzw. abnehmender Ressourcen und des demografischen Wandels sei mit zunehmenden Verteilungskonflikten zu rechnen. Die EZB sei gut beraten, sich hier möglichst herauszuhalten, um ihr Inflationsziel nicht wieder aus den Augen zu verlieren. Die aktuelle Krise gebe ihr in gewisser Weise die Chance dazu.
Eine den Umständen geschuldete klare und unmissverständliche Fokussierung auf die Inflationsbekämpfung helfe nunmehr, politische Begehrlichkeiten und Forderungen nach einer zu lockeren Geldpolitik in Schach zu halten. Mit einem zügigen Abbau ihrer hohen Anleihebestände - sie halte derzeit rund 40% aller umlaufenden Euro-Staatsanleihen - würde die EZB auch ein deutliches Ausrufezeichen in Richtung Politik setzen.
Der ab März beginnende Abbau der Wertpapierbestände um monatlich 15 Mrd. Euro sei eher ein Minimum. Die US-Notenbank reduziere derzeit ihre Anleihebestände um monatlich 95 Mrd. US-Dollar, davon 60 Mrd. Staatsanleihen. Die EZB werde ihren Zinserhöhungskurs fortsetzen. Für Mitte März habe sie bereits einen weiteren Zinsschritt um 50 Basispunkte angekündigt. Möglicherweise werde in den nächsten Monaten sogar noch etwas draufgesattelt. Spätestens in der zweiten Jahreshälfte dürfte sich die Lage an der Zinsfront, auch im Zuge anhaltend rückläufiger Inflation, jedoch beruhigen. (Ausgabe vom 28.02.2023) (01.03.2023/alc/a/a)