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Bärenmarkt für Anleihen?


23.05.23 09:00
Columbia Threadneedle

Frankfurt (www.anleihencheck.de) - Die Renditen zehnjähriger US-Staatsanleihen sind von ihrem Tiefpunkt Anfang April um 35 Basispunkte gestiegen, die Renditekurve verschob sich nach oben - und die Preise für langlaufende Staatsanleihen stürzten ab. "An steigenden Inflationserwartungen lag das allerdings nicht", so Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments.

Bell erkläre, die Breakeven-Werte hätten sich nicht bedeutend verändert. Was gestiegen sei, seien die realen Renditen. Noch schlechter sei es britischen Staatsanleihen ergangen. Inhaber der 50-jährigen indexgebundenen britischen Gilts hätten seit Anfang April einen Kapitalverlust von fast 30 Prozent erlitten.

Doch was sei der Grund für diesen Bärenmarkt bei Anleihen? "Dass die US-Schuldenobergrenze etwas damit zu tun hat, glaube ich nicht", beteuere Bell. Stattdessen führe er die schlechte Performance von Anleihen auf drei Faktoren zurück:

Übergang von der quantitativen Lockerung zur quantitativen Straffung: Die geldpolitische Wende sei von den Zentralbanken lange im Voraus angekündigt worden, woraufhin die Renditen der Staatsanleihen gestiegen seien. Doch warum ein weiterer Anstieg? Bells Vermutung: Die Zentralbanken könnten das Tempo beschleunigen, mit dem sie den Bestand an angekauften Anleihen abbauen würden. "Ich habe kürzlich erörtert, wie quantitative Lockerung die Probleme der Regionalbanken in den USA verschärft hat: Indem die Federal Reserve Zinsen auf überschüssige Reserven zahlen musste, blockierte sie ein wichtiges Sicherheitsventil - dieses verhindert normalerweise, dass Einleger bei Verdacht einer Finanzkrise aus Banken flüchten", so der Chefökonom, der nicht überrascht wäre, wenn die Mitglieder der Federal Reserve das Thema diese Woche zur Sprache bringen würden. "Sie könnten und sollten die quantitative Straffung beschleunigen", sei Bell überzeugt.

Eine Kreditverknappung sei im Gange: Eine Kreditverknappung - eine natürliche Folge der Leitzinserhöhungen - sei zweifellos im Gange. Eine plötzliche und drastische Einschränkung der Kreditvergabe scheine es allerdings nicht zu geben. Und auch die Anzeichen einer Abschwächung auf dem US-Arbeitsmarkt hätten sich als falsch erwiesen, da die steigende Zahl an Anträgen auf Arbeitslosenunterstützung sich als Betrug herausgestellt habe.

Terminhändler würden Long-Positionen in Staatsanleihen verkaufen: Mit dem Anstieg der Renditen hätten Händler an den Terminmärkten, die Long-Positionen in Staatsanleihen besessen hätten, ihre Positionen abbauen und Anleihen verkaufen müssen. Diese Art von Reaktion gebe es immer - in letzter Zeit sei sie aber ungewöhnlich stark ausgeprägt gewesen.

Wie gehe es nun weiter? "Ich denke, dass der jüngste Renditeanstieg Anleihen attraktiv macht", betone Bell. Zwar bedeute die quantitative Straffung, dass das Angebot größer werde. Doch der Preis habe sich bereits angepasst, und die Nachfrage werde sich von anderen Anlageklassen nun wieder auf Anleihen verlagern. Bereits jetzt zeige sich ein geringeres Interesse an Unternehmensanleihen. "Insbesondere der steile Renditeanstieg bei indexgebundenen Anleihen des Vereinigten Königreich macht es für Pensionsfonds attraktiv, ihr Kapital jetzt anzulegen", so der Chefvolkswirt von Columbia Threadneedle. Das werde die Nachfrage nach Gilts erhöhen, insbesondere falls die Daten diese Woche Großbritannien einen starken Rückgang der Inflation bescheinigen würden - was mit größter Wahrscheinlichkeit der Fall sein werde.

Für die USA sehe Steven Bell schwarz: Zwar seien einige US-Wirtschaftsdaten in letzter Zeit besser ausgefallen, doch das gelte nicht für alle Bereiche. So seien die Hypothekenzinsen nach einem kurzen Rückgang zwischen Oktober 2022 und Anfang Februar fast wieder auf dem vorherigen Höchststand und ein erneuter Abschwung sei wahrscheinlich. Sei der Capex-Tracker von Goldman Sachs in den negativen Bereich gefallen - ein Anzeichen dafür, dass US-Unternehmen ihre Investitionen kürzen würden. Grund sei größtenteils der Druck auf die Gewinnspannen. "Wenn Unternehmen Investitionen kürzen, bauen sie in der Regel auch Arbeitsplätze ab", so Bell. Für ihn stehe fest: Die US-Rezession sei eher aufgeschoben als aufgehoben.

Bells Fazit laute: eine Erholung bei Staatsanleihen. "Dies würde Aktien stützen, aber da die Unternehmen unter Druck stehen, dürften auch Aktien stagnieren", so der Chefökonom. (23.05.2023/alc/a/a)