Arbeitslosenquote und Inflation: Droht eine Lohn-Preis-Spirale?


09.03.23 10:02
La Française AM

Frankfurt am Main (www.anleihencheck.de) - Die von dem neuseeländischen Ökonomen William Phillips 1958 entwickelte Philipps-Kurve zeigt einen negativen empirischen Zusammenhang zwischen der Arbeitslosenquote und der Inflation, so Audrey Bismuth, Global Macro Researcher von La Française AM.

Diese negative Korrelation werde über die Löhne weitergegeben, deren Schwankungen in der Regel analog zu den Verbraucherpreisen verlaufen würden. Die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer nehme zu, wenn das Arbeitskräfteangebot begrenzt sei, die Arbeitslosigkeit also niedrig und die Produktionskapazität angespannt sei. Dieser Zusammenhang sei jedoch in vielen Ländern seit den 1990er Jahren verschwommener geworden. Dafür gebe es zahlreiche Gründe.

Nach der großen Rezession 2008/09 hätten die sinkenden Arbeitslosenquoten in den USA nicht zu deutlichen Lohnerhöhungen geführt. Laut dem Bureau of Labor Statistics (BLS) sei die Arbeitslosenquote vor der Corona-Pandemie von 10% auf unter 4% gesunken. Das Lohnwachstum sei zwischen 2009 und 2015 stabil bei etwa 2% geblieben, bevor es im Zeitraum 2016 bis 2019 auf 3% angestiegen sei. Diese geringere negative Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Löhnen könnte auf größere Überkapazitäten hindeuten, als die Arbeitslosenquoten hätten vermuten lassen.

In Frankreich habe im März 2018 eine Studie des Institut National de la Statistique et des Etudes Economiques (INSEE) darauf hingewiesen, dass der Korrelationskoeffizient zwischen der Lohnentwicklung und der Arbeitslosigkeit in den USA zwischen 2011 und 2015 sogar positiv gewesen sei. Diese Analyse sei zu dem Schluss gekommen, dass "die Arbeitslosigkeit einen Einfluss auf die Lohnschwankungen hat, die Produktivität jedoch langfristig eine wichtige Determinante bleibt". Die anhaltend niedrige Produktion pro geleisteter Arbeitsstunde könne die Unternehmensgewinne schmälern und letztlich das Lohnwachstum dämpfen, da die Unternehmen weniger bereit seien, schnelle Lohnerhöhungen zu gewähren.

Im September 2017 habe auch eine Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) darauf hingewiesen, dass die Zunahme an erzwungener Teilzeitarbeit (d.h. Personen, die gerne mehr arbeiten würden) und ein höherer Einsatz von Zeitarbeit das Lohnwachstum begrenzen würden. Weitere häufig genannte Gründe seien Automatisierung, sinkende mittelfristige Wachstumserwartungen, ein wachsender Dienstleistungssektor und ein höheres Arbeitskräfteangebot im Zuge der Globalisierung. Sie habe insbesondere seit dem Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation (WTO) in den 2000er Jahren den Wettbewerb verstärkt.

Mit den Veränderungen in der Weltwirtschaft habe die Pandemie auch die Entwicklung der Lohnverhältnisse in den Unternehmen verändert. Die Gesundheitskrise habe durch die massiven Konjunkturprogramme das Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt verstärkt. Derzeit stünden in den USA 4,7 Millionen mehr Arbeitsplätze zur Verfügung, als es Arbeitskräfte gebe, die diese besetzen könnten (Bureau of Labor Statistics, 11/2022). Vor 2019 habe diese Lücke 1 Million Menschen ausgemacht. Die steigende Zahl von Arbeitgebern, die Schwierigkeiten bei der Personalbeschaffung hätten, sei das Ergebnis einer zunehmenden Diskrepanz zwischen den Fähigkeiten, Interessen und Erfahrungen der Arbeitssuchenden und den Stellen, die die Arbeitgeber besetzen möchten.

Laut Lightcast (12/2022) sei die Zahl der Erwerbstätigen in den USA um 2 Millionen gesunken. Dies sei auch auf die rückläufige Zuwanderung, die Frühverrentung der Baby-Boomer und die demografische Entwicklung zurückzuführen (laut Census Bureau würden Amerikaner über 65 Jahre bis 2035 21% der Erwerbsbevölkerung ausmachen). Es werde daher wahrscheinlich einige Zeit dauern, sie zu ersetzen oder wieder auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Besonders angesichts des bedeutenden Vermögenstransfers von der Babyboomer-Generation auf die Generation Y (Millennials). Eine Studie von Coldwill Banker vom Oktober 2019 schätze das Vermögen auf 68 Billionen US-Dollar. Allerdings dürfte der erhebliche Rückgang der während der Pandemie angehäuften überschüssigen Ersparnisse, von denen laut den Strategen von Alpine Macro bereits zwei Drittel (inflationsbereinigt) verbraucht worden seien, dazu führen, dass die Amerikaner wieder auf den Arbeitsmarkt zurückkehren würden.

Es seien im Übrigen die jungen Menschen und die am wenigsten qualifizierten Arbeitsplätze, die für das Lohnwachstum und die historisch niedrige Arbeitslosenquote verantwortlich seien. Die Erwerbsquote der 20- bis 24-Jährigen liege immer noch 1,7 Prozentpunkte unter ihrem Vorpandemiewert. Die Löhne der 16- bis 24-Jährigen seien laut dem Atlanta FED Pay Tracker (Januar 2023) um mehr als 12% gestiegen, während die Löhne insgesamt um 6,3% zugelegt hätten. Darüber hinaus kämen die verbesserten Arbeitsmarktbedingungen eher den am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmern zugute. Ihre Verhandlungsmacht werde also immer stärker. Der Lohn-Tracker der Atlanta FED zeige, dass die Gehälter der am schlechtesten qualifizierten Arbeitnehmer im Januar im Vergleich zum Vorjahr um 6,6% gestiegen seien, während sie bei den besser qualifizierten Arbeitnehmern um 6,1% zugelegt hätten.

Obwohl die negative Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation nicht unbedingt immer eindeutig sei, bleibe die Frage, ob aggressive Zinserhöhungen - das Hauptinstrument der Zentralbanken im Kampf gegen die Inflation - wirklich gerechtfertigt seien, da dadurch die Weltwirtschaft in eine Rezession geraten und Arbeitsplätze unnötig verloren gehen könnten? Sei es wahrscheinlich, dass die von den Zentralbankern befürchtete Lohn-Preis-Spirale dauerhaft zum Tragen komme?

In seinem Weltwirtschaftsausblick vom Oktober 2022 habe der IWF eine ähnliche Situation wie 2021 analysiert, als die Inflation gestiegen sei und das Lohnwachstum positiv gewesen sei, die Reallöhne und die Arbeitslosenquote jedoch stagniert hätten oder gesunken seien. Der IWF habe festgestellt, dass "angesichts der Tatsache, dass die Inflationsschocks ihren Ursprung außerhalb des Arbeitsmarktes haben, die sinkenden Reallöhne zur Verlangsamung der Inflation beitragen und eine aggressivere Straffung der Geldpolitik stattfindet, das Risiko einer dauerhaften Lohn-Preisspirale begrenzt erscheint".

Der jüngste Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) habe ebenfalls festgestellt, dass "in einkommensstarken Ländern das Reallohnwachstum seit dem Jahr 2000 geringer war als das Produktivitätswachstum. Während der starke Rückgang des Arbeitsproduktivitätswachstums 2020 die Lücke vorübergehend verkleinerte, hat die Verringerung der Reallöhne in der ersten Jahreshälfte 2022 in Verbindung mit dem positiven Produktivitätswachstum die Lücke zwischen Produktivität und Lohnwachstum wieder vergrößert".

In der Studie heiße es, dass der Abstand zwischen Produktivitäts- und Lohnwachstum im Jahr 2022 den höchsten Stand seit Beginn des 21. Jahrhunderts erreicht habe. Dabei liege das Produktivitätswachstum um 12,6 Prozentpunkte höher als das Lohnwachstum. Daher scheine es "in vielen Ländern Spielraum für Lohnerhöhungen zu geben, ohne eine Lohn-Preis-Spirale zu befürchten".

Schließlich würden Wirtschaftswissenschaftler darauf hinweisen, dass der Rückgang der Erwerbsbevölkerung langfristig zu einer niedrigeren Inflation beitragen werde. Bei einem geringeren Einkommenswachstum dürften die Verbraucherausgaben sinken und der Arbeitsmarkt durch eine niedrigere natürliche Gleichgewichtsarbeitslosenquote (NAIRU, Non Accelerating Inflation Rate of Unemployment, d.h. die niedrigste Arbeitslosenquote, die ohne Inflationsanstieg verkraftet werden könne) wieder ins Gleichgewicht gebracht werden. NAIRU sei seit Ende der 1980er Jahre allmählich von 6,3% auf derzeit 4,4% gesunken. Laut dem Congressional Budget Office dürfte NAIRU bis 2032 auf 4,25% sinken. (09.03.2023/alc/a/a)





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